<< < Station: [106] Dr. Wilfried Koch: Knoten im Garn
Wie kommt ein Kunstwerk wie dieses in den öffentlichen Stadtraum? Es braucht den Künstler und sein Werk, finanzkräftige Mäzene und politische Entscheider. Der ehemalige Bürgermeister von Rheda-Wiedenbrück erinnert sich an diesen Prozess. Bernd Jostkleigrewe im Gespräch mit Christiane Hoffmann, der Leiterin des Kunst- und Stadtmuseums Rheda-Wiedenbrück:
Christiane Hoffmann:
Sehr geehrter Herr Jostkleigrewe, als Bürgermeister der Stadt Rheda-Wiedenbrück haben Sie in Ihrer aktiven Dienstzeit ganz große Aufgaben zu bewältigen gehabt: Die Sanierung des großen Rathauses, die Gründung und überhaupt das Ins-Leben-Holen des Wiedenbrücker Schule Museums – ganz viele kulturelle Dinge, die Ihnen ja schon von jeher am Herzen lagen. Und auch in Ihrer, ja, Ruhestandsphase sind Sie ja für Kunst und Kultur nimmermüde und bringen Dinge in unsere Stadt, die wir sonst nicht erreichen würden. Genau denke ich jetzt an die letzte große Skulptur von Wilfried Koch: Der Knoten im Garn.
Wie kam es dazu, dass Sie diese wunderbare Figur hier nach Rheda-Wiedenbrück geholt haben?
Bernd Jostkleigrewe:
Erst einmal schönen Dank für die Blumen, die Sie mir gerade gegeben haben. Aber in der Tat, Kultur war auch immer schon mein Thema, auch lange Zeit, bevor ich ins Rathaus als Bürgermeister einziehen durfte. Hier kommen verschiedene Dinge zusammen, die ganz wichtig sind, dass diese Skulptur in unserer Stadt jetzt steht und dass wir uns daran erfreuen können. Vorweg möchte ich sagen: Wenn es nicht diese großzügige Mäzenaten-Familie Mechtild und Bruno Höner gegeben hätte, in diesem Fall, dann stünde die Skulptur ganz gewiss nicht hier. Also, ihr gewährt eigentlich das größte Lob an dieser Stelle und Anerkennung.
Aber Tatsache ist, dass ich eines Tages von einem Freund angesprochen wurde, der sagte dort bei dem Dr. Wilfried Koch, dem Rietberger Künstler, steht eine wunderbare Skulptur kannst du dir die nicht einmal anschauen? Und natürlich bin ich neugierig geworden und bin da hingegangen und habe mit der Familie Koch Kontakt aufgenommen und ich habe die Skulptur sehen können dort im Garten und war auf Anhieb von der Ästhetik dieser Gruppe in den Bann gezogen.
Es hat mich wirklich beeindruckt, was ich dort sehen konnte. Und je tiefer ich dann in das Thema eindrang, um so stärker war eigentlich mein Wunsch: Das ist eine Skulptur, die wäre eigentlich für unsere Stadt wunderbar. Schließlich stellte sich ja heraus, dass diese Skulptur auch einen Teil fast vergessener Stadtgeschichte wieder ins Leben rufen würde, nämlich die Art und Weise, wie die Spinner-Familien hier in unserem ehemaligen Landkreis Wiedenbrück vom 17. Jahrhundert bis zum 19. Jahrhundert gelebt haben und letztendlich ja elend zugrunde gegangen sind.
Und diese Tatsache, die kann man in der Skulptur wunderbar nachvollziehen. und dass wir von so einem Künstler jetzt eine Skulptur in unserer Stadt haben, im Flora-Westfalica-Park, im Eingang zur Wiedenbrücker Seite, das ist eigentlich wunderbar.
Christiane Hoffmann:
Die Skulptur selber besteht aus drei Menschen, dem Vater, der Mutter und dem Kind. Gibt es bei den dreien vielleicht so einen Favoriten, der sie am meisten ins Herz getroffen hat? Oder ist das einfach die Gruppe an sich?
Bernd Jostkleigrewe:
Ja, es ist schon die Gruppe, muss ich sagen. Wobei eigentlich jede einzelne Figur eine ganz große Besonderheit ausstrahlt. Also wenn ich das mal kurz sagen darf, der Vater eigentlich ja der Stärkste in einer Familie, so nach dem klassischen Familienbild, der braucht, den Stab, den Stock, auf den er sich stützen kann. Das heißt, er ist nicht mehr stark. Er ist eigentlich schon schwach. Dann die] Mutter, die eigentlich eine starke Ausstrahlung hat, wenn man sich das Gesicht anschaut. Es gibt sogar eine Perspektive, die wirkt fast madonnenhaft, wenn man hinschaut. Die ist zwar auch heute gebeugt, aber ich hab so den Eindruck, sie ist immer noch der Kern der Familie. Sie macht einfach weiter, sie arbeitet weiter, wohingegen der Vater nur seinen Hanf zeigt und sagt: Hier, das braucht keiner mehr. Da ist ein Knoten in unserer Produktion. Das ist fertig. Und dann, wenn man sich das Kind anschaut, mit diesem leeren, fast hohlen Blick, der einfach vor sich hin werkelt mit seiner Spindel. Man sieht im Grunde schon, dass er weiß, er hat nicht mehr viel Zeit. Der Tod, der Typhus, Hungertod wird ihn eines Tages auch ergreifen und das drückt die Figur aus. Aber was ja, ganz toll ist von dem Künstler, wenn man darüber nachdenkt: Es ist ja eine Familie. Jetzt stellen Sie sich mal vor, wie man ein Familienfoto machen würde, ein Familienbild. Da steht man nebeneinander, man ist eingehackt oder wie auch immer. Diese Familie, da wendet sich jeder dem anderen mit dem Rücken zu. Das heißt, man ist zwar formal noch in dem Verbund dieser Familie, aber in Wirklichkeit hat man sich schon entfernt durch die Situation, durch den Hunger, durch die schlechte wirtschaftliche Situation.
Christiane Hoffmann:
Sie sagten beschrieben schon den Standort am Eingang zum Stadtteil Wiedenbrück. Sind Sie zufrieden mit der Stelle, an dem die Gruppe heute steht?
Bernd Jostkleigrewe:
Also ich denke, dass ist ein wunderbarer Standort und wir haben auch um den Standort gerungen, also insbesondere auch mit dem Künstler. Und Wilfried Koch war eben auch sehr, sehr einverstanden, so wie es ist. Also eigentlich ist es ja so, dass jeder Besucher im Grunde über diese Skulptur stolpert und von daher könnte dieser Standort eigentlich nicht schöner sein. Also er steht zentral. Er wird gesehen und wird wahrgenommen von den Bürgerinnen und Bürgern. Und man muss sich eigentlich mit ihr auseinandersetzen.
Alle Abbildungen : Torsten Nienaber, © Wiedenbrücker Schule Museum