Station: [3] Steiles Ufer, 1910


Um die Besonderheiten des im Jahr 1910 entstandenen Gemäldes Steifes Ufer zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf Noldes künstlerisches Umfeld. Im Jahr 1906 tritt er der Künstlergruppe „Brücke“ bei, die im Jahr zuvor in Dresden gegründet wurde. Bereits 1907 beendet er jedoch seine aktive Mitgliedschaft, da er sich unter anderem mit Karl Schmitt-Rottluff, einem der Gründer der „Brücke“, überwirft. In Berlin trifft Nolde in dieser Zeit auch auf den Norweger Edvard Munch, der eine eigenwillige, expressiv-symbolische Gestaltungsweise vorträgt. Im Jahr 1910 wird Nolde Mitglied der bereits 1898 gegründeten „Berliner Secession“ bei, die einen Gegenentwurf zur akademischen Kunstauffassung bietet. Aufgrund der Konflikte mit deren Präsidenten, Max Liebermann, verlässt Nolde die Vereinigung jedoch wieder und wird Mitglied der „Neuen Secession“. Diese Suche nach Zugehörigkeit, die Ausdruck seines Ringens um die eigene künstlerische Identität ist, spiegelt sich auch in den Meeresbildern, an denen Nolde in dieser Zeit arbeitet. Das Gemälde „Steiles Ufer“ offenbart seine ästhetischen Experimente: Bei der Darstellung von Meer, Himmel oder der in Rot- und Rosatönen gehaltenen Küste vermischt Nolde die Farben miteinander und lässt einzelne Pinselstriche – als einzelne Farb- und Bildeinheiten – stehen. Das Uferplateau auf der rechten Bildseite hingegen begreift er viel stärker als Fläche, als Einheit. Dieses Ausprobieren und Koexistieren unterschiedlicher Darstellungs¬weisen findet man ähnlich auch in Noldes frühen Landschaftsbildern, etwa von Dörfern oder Weihern.