Ein Museumsbesuch ist von Assoziationen und Rahmenbedingungen geprägt. Manche sind offensichtlich und werden bereits beim Betreten des Ausstellungsraumes schnell wahrgenommen: Welche Objektauswahl wird präsentiert? Wird ein Stück einzeln oder in einer großen Gruppe vorgestellt? Andere Inszenierungsmechanismen sind dagegen subtiler: Wieviel Licht wird auf ein Objekt gerichtet? Welcher Raum folgt auf den nächsten? Auf der Seite der eher subtileren Zugangsbedingungen ist die Vitrine. Beim Abschreiten der Ausstellung treten Sockel und Glaskubus rasch in den Hintergrund. Der Blick der Besucherinnen und Besucher, welcher von Objekt zu Objekt wandert, filtert die trennende Komponente der Scheibe heraus. Die Sonderausstellung „LOOKING GLASS“ widmet sich diesem häufig ignorierten und doch blockierenden Element. Der Künstler Jonah Gebka nutzt die Vitrinenscheibe als Materialgrund für seine Auseinandersetzung mit den Objekten der Sammlung. Gebkas erste Annäherungen mit den Sammlungen verlief dabei wie ein regulärer Museumsbesuch: Nach einem ersten Überblick folgte die Auseinandersetzung mit den Abteilungen, Objekten und schließlich der Inszenierung. Besonders letztere beschäftigte den Künstler beim Besuch im Rundturm, in dem Objekte der Sammlung der Klassischen Archäologie präsentiert werden. Bereits beim Betreten des Raumes erfasst man ihn in seiner Gänze, die symmetrische Anordnung der Vitrinen erlaubt zudem zahlreiche „Durchblicke“: Ganze Objektebenen, hintereinander gestaffelt, eröffnen sich. In einem nachfolgenden Besuch Gebkas, der sich inzwischen stark auf den Rundturm konzentrierte, fand ein besonderer Moment statt: Die Objekte begannen, den Blick zu erwidern. Denn die auf Schalen, Bildtafeln und Vasenverzierungen abgebildeten Gesichter und Augen sehen die Besuchenden oft direkt an, ein nonverbaler Dialog, begonnen vor Jahrtausenden. Beantwortet wird er von jedem, der den Blickkontakt aufnimmt. Zwischen diesem Austausch steht aber immer das trennende Element der Glasplatte, der Vitrine. Aus den bei seinen Besuchen entstandenen Fotografien, Notizen und Skizzen entwickelte Gebka Motive, die sich in zwei Gruppen unterteilen lassen: In Betrachtung vertiefte Figuren stehen fragmentarischen Darstellungen ausgewählter Objekte gegenüber. Verbindendes Element bilden dabei die Blicke der figürlichen Darstellungen. Als teilweise transparente Drucke wurden diese auf die Glasscheiben angebracht und betonen somit das dividierende Element. Dennoch sind sie auch Mediatoren zwischen Publikum und Objekt. Die Zugangs- und Rahmenbedingungen des Museums werden durch die Ausstellung thematisiert und zum Teil aufgehoben: Blicke werden verstellt, neue Perspektiven ermöglicht. Das Publikum kann zurücktreten und auf neue Betrachtungsebenen gelangen.
08. May 2022 - 13:40
Burgsteige 11
Tübingen
72070
Deutschland

Aktueller Termin von "Museum der Universität Tübingen MUT | Alte Kulturen | Sammlungen im Schloss Hohentübingen"

LOOKING GLASS

08. May 2022 - 13:40 – 12. Jun 2022 - 13:39
Museum der Universität Tübingen MUT | Alte Kulturen | Sammlungen im Schloss Hohentübingen

Ein Museumsbesuch ist von Assoziationen und Rahmenbedingungen geprägt. Manche sind offensichtlich und werden bereits beim Betreten des Ausstellungsraumes schnell wahrgenommen: Welche Objektauswahl wird präsentiert? Wird ein Stück einzeln oder in einer großen Gruppe vorgestellt? Andere Inszenierungsmechanismen sind dagegen subtiler: Wieviel Licht wird auf ein Objekt gerichtet? Welcher Raum folgt auf den nächsten?

Auf der Seite der eher subtileren Zugangsbedingungen ist die Vitrine. Beim Abschreiten der Ausstellung treten Sockel und Glaskubus rasch in den Hintergrund. Der Blick der Besucherinnen und Besucher, welcher von Objekt zu Objekt wandert, filtert die trennende Komponente der Scheibe heraus.

Die Sonderausstellung „LOOKING GLASS“ widmet sich diesem häufig ignorierten und doch blockierenden Element. Der Künstler Jonah Gebka nutzt die Vitrinenscheibe als Materialgrund für seine Auseinandersetzung mit den Objekten der Sammlung.

Gebkas erste Annäherungen mit den Sammlungen verlief dabei wie ein regulärer Museumsbesuch: Nach einem ersten Überblick folgte die Auseinandersetzung mit den Abteilungen, Objekten und schließlich der Inszenierung. Besonders letztere beschäftigte den Künstler beim Besuch im Rundturm, in dem Objekte der Sammlung der Klassischen Archäologie präsentiert werden. Bereits beim Betreten des Raumes erfasst man ihn in seiner Gänze, die symmetrische Anordnung der Vitrinen erlaubt zudem zahlreiche „Durchblicke“: Ganze Objektebenen, hintereinander gestaffelt, eröffnen sich.

In einem nachfolgenden Besuch Gebkas, der sich inzwischen stark auf den Rundturm konzentrierte, fand ein besonderer Moment statt: Die Objekte begannen, den Blick zu erwidern.

Denn die auf Schalen, Bildtafeln und Vasenverzierungen abgebildeten Gesichter und Augen sehen die Besuchenden oft direkt an, ein nonverbaler Dialog, begonnen vor Jahrtausenden. Beantwortet wird er von jedem, der den Blickkontakt aufnimmt. Zwischen diesem Austausch steht aber immer das trennende Element der Glasplatte, der Vitrine.

Aus den bei seinen Besuchen entstandenen Fotografien, Notizen und Skizzen entwickelte Gebka Motive, die sich in zwei Gruppen unterteilen lassen: In Betrachtung vertiefte Figuren stehen fragmentarischen Darstellungen ausgewählter Objekte gegenüber. Verbindendes Element bilden dabei die Blicke der figürlichen Darstellungen. Als teilweise transparente Drucke wurden diese auf die Glasscheiben angebracht und betonen somit das dividierende Element. Dennoch sind sie auch Mediatoren zwischen Publikum und Objekt.

Die Zugangs- und Rahmenbedingungen des Museums werden durch die Ausstellung thematisiert und zum Teil aufgehoben: Blicke werden verstellt, neue Perspektiven ermöglicht. Das Publikum kann zurücktreten und auf neue Betrachtungsebenen gelangen.

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