Ausstellung „Copistes“ im Centre Pompidou‑Metz

Es ist eine künstlerische Umarmung mit der Vergangenheit, ein subtiles Ringen mit der Autorität des Originals: Die Ausstellung „Copistes“ im Centre Pompidou-Metz widmet sich dem Kopieren – jener in der Kunstgeschichte oft unterschätzten Praxis, die seit Jahrhunderten zwischen Handwerk, Disziplin und Aneignung oszilliert.

Kuratiert von Donatien Grau (Musée du Louvre) und Chiara Parisi (Centre Pompidou-Metz), versammelt die Ausstellung rund 100 internationale Gegenwartskünstler, die sich mit Werken aus der Sammlung des Louvre auseinandersetzen – nicht in musealer Ehrfurcht, sondern mit kritischer Distanz, poetischem Blick und produktiver Widerständigkeit.

Kopie als Strategie

Kopieren galt lange als notwendiger Bestandteil akademischer Ausbildung. Im 18. Jahrhundert war der Louvre voller Schüler mit Staffeleien, die Gemälde alter Meister penibel reproduzierten. „Copistes“ bricht diesen pädagogischen Rahmen auf und erweitert das Kopieren zur künstlerischen Strategie.

So antwortet Jeff Koons mit ironischer Perfektion auf französischen Neoklassizismus, während Danh Vo Fragmente aus Renaissance-Skulpturen dekonstruiert und in neuen Zusammenhängen inszeniert. Ghada Amer spürt der Ikonographie weiblicher Körperbilder in altmeisterlichen Vorlagen nach und transformiert sie in feministisch aufgeladene Stickarbeiten.

Was alle Beiträge eint: Die Kopie ist hier kein Tribut, sondern ein Akt der Aneignung, oft ein subversives Statement. Die Replik wird zum Kommentar, zur politischen Geste, zur existenziellen Befragung von Originalität, Autorität und Erinnerung.

Ein Parcours ohne Chronologie

Die Präsentation verzichtet bewusst auf eine lineare Ordnung. Statt kunsthistorischer Chronologie setzt sie auf assoziative Räume, in denen Epochen, Stile und Medien miteinander ins Gespräch treten. Die Ausstellungsarchitektur, inspiriert von Carlo Scarpa, betont Übergänge, Blickachsen, Kontraste. So stehen barocke Allegorien plötzlich neben Videoinstallationen, eine neoklassizistische Aktzeichnung vis-à-vis einer 3D-Rekonstruktion antiker Vasenfragmente.

Diese Rhizom-Struktur ist kein Zufall. Sie reflektiert die postdigitale Gegenwart, in der der Begriff des Originals selbst fragwürdig geworden ist – in der Reproduktionen zirkulieren, ohne Ursprung, ohne Hierarchie.

Das Museum als Ort der Überschreibung

Das Centre Pompidou-Metz, selbst ein architektonisches Statement zwischen japanischer Leichtigkeit und französischer Ingenieurskunst, ist der ideale Ort für eine solche Ausstellung. Seit seiner Eröffnung im Jahr 2010 hat es sich als Plattform für avancierte Formate zeitgenössischer Kunst etabliert – nicht als bloßer Satellit des Pariser Stammhauses, sondern als eigenständige Stimme im europäischen Kulturdiskurs.

„Copistes“ passt sich diesem Anspruch an: Es ist keine Schau über Technik oder Tradition, sondern ein essayistisches Projekt über das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart – in einer Welt, in der der Zugriff auf Bilder allgegenwärtig ist, aber das Verständnis für deren Herkunft zunehmend erodiert

Fazit

„Copistes“ ist keine Hommage, sondern eine Relektüre. Sie fragt nicht, wie gut wir kopieren können, sondern was das Kopieren heute bedeutet. In einer Zeit, in der Bilder massenhaft produziert, manipuliert und geteilt werden, wird die Frage nach dem „Echten“ wieder brisant.

Die Ausstellung zeigt: Die Kopie kann aufklären, provozieren, erinnern. Und manchmal ist sie – durch die kluge Verschiebung des Blicks – dem Original näher als jede Reproduktion.

Praktische Informationen für den Besuch

  • Ort: Centre Pompidou-Metz
    1 Parvis des Droits de l’Homme
    57000 Metz, Frankreich
    www.centrepompidou-metz.fr
  • Ausstellungszeitraum: 14. Juni 2025 – 2. Februar 2026
  • Öffnungszeiten: Täglich außer dienstags, 10–18 Uhr (Do bis 20 Uhr)
    Eintritt: ca. 7 € (Ermäßigt / Kombiticket / Jahrespass verfügbar)

Quelle:
https://www.centrepompidou-metz.fr/de/programme/exposition/kopisten
Bildnachweis:
Jeff Koons, (Sleeping Hermaphrodite) Gazing Balls, 2025
Gips und Glas, 60,6 x 179,5 x 100,3 cm
Edition 1 of an edition of 3 plus 1 AP
© Jeff Koons

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