Station: [5] Ideologischer Hintergrund


M: Euthanasía – griechisch für „leichter Tod“.

F: Bereits in der griechisch-römischen Antike war der Begriff Euthanasie bekannt. Man verstand darunter, den guten – weil schmerzlosen und schnellen – Tod. Heute verbinden wir mit dem Begriff „Euthanasie“ die gezielte Ermordung kranker und behinderter Menschen während des Nationalsozialismus. Die ideologischen Grundlagen für diesen Massenmord lieferte unter anderem der Sozialdarwinismus.

M: Im November 1859 veröffentlichte der Engländer Charles Darwin sein berühmtes Werk „Die Entstehung der Arten“. Darin beschreibt Darwin das Prinzip der natürlichen Auslese. Im Kampf um Nahrung und Lebensraum könne nur überleben, wer am besten an seine Umwelt angepasst ist. Arten würden sich dementsprechend ständig weiterentwickeln und verändern. Dadurch würden ungünstige Merkmale ausgelöscht.

F: Darwin nannte das: Survival of the fittest. Oder:

M: "Alles, was gegen die Natur ist, hat auf Dauer keinen Bestand."

F: Sozialdarwinisten versuchten, diesen Mechanismus auf die menschliche Gesellschaft zu übertragen. Sie erklärten den Rassenkampf zum Naturgesetz. Im Nationalsozialismus wurden diese Ideen zur Ideologie übersteigert und zusätzlich radikalisiert. Man glaubte, die Gesellschaft durch „Zucht“ verändern zu können.

M: Kranke, Behinderte, Juden oder auch Menschen slawischer Herkunft galten als „lebensunwert“. Sie sollten dementsprechend von der Fortpflanzung ausgeschlossen werden. Mehr noch: Sie sollten ausgelöscht werden. Sozialdarwinistisches Denken verband sich mit angewandter Eugenik – und gipfelte im systematischen Massenmord.

F: Die Gedanken zur Rassenlehre reichen aber weiter zurück, bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Damals machten sich Forscher erstmals Gedanken darüber, wie man die Menschheit in Rassen einteilen kann. Es entstand die Vorstellung einer weißen, arischen Ur-Rasse, die zum Herrschen bestimmt sei. 1905 wurde daher in Berlin die Gesellschaft zur Rassenhygiene gegründet. 1923 folgte in München der erste Lehrstuhl für Rassenhygiene, kurz darauf wurde es zum Pflichtfach für alle Medizinstudenten. 1920 hatte der Jurist Karl Binding zusammen mit dem Psychiater Alfred Hoche bereits eine vieldiskutierte Schrift veröffentlicht. Der Titel: „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“. Diese Schrift war Teil der programmatischen Grundlage für die NS-Euthanasie. Darin schreiben Binding und Hoche …

M: „Die unheilbar Blödsinnigen (…) haben weder den Willen zu leben noch zu sterben. So gibt es ihrerseits keine beachtliche Einwilligung in die Tötung, andererseits stößt diese auf keinen Lebenswillen, der gebrochen werden müsste. Ihr Leben ist absolut zwecklos (…). Für ihre Angehörigen wie für die Gesellschaft bilden sie eine furchtbare schwere Belastung. Ihr Tod hinterlässt nicht die geringste Lücke.“

F: Man teilte Menschen nicht nur in lebenswert und lebensunwert ein. Vielmehr maß man den Wert eines menschlichen Lebens an seiner wirtschaftlichen Rentabilität – und das nicht nur in Deutschland. Aber nirgendwo sonst in Europa fand ein systematischer Massenmord statt.

Foto 1: © Meldebogen: Gemeinfrei

Foto 2: © Ermächtigungsschreiben: Gemeinfrei

Foto 3: © Graue Busse: aus dem Archiv der Stiftung Liebenau. Urheber: Anstaltspfarrers Alois Dangelmaier..