Station: [6] Die Flucht der Nonne Barbara 1523


Barbara:

Pst! Sie da! Haben Sie George Reichardt, den Seifensieder gesehen? Er wollte aus Torgau herübergeritten kommen und mich befreien.

Befreien, ja genau. Von diesem scheußlichen, kratzigen Gewand und aus diesem einsamen und langweiligen Leben. Tagein, tagaus ist nur ein ehrfürchtiges Gemurmel meiner Mitschwestern beim Beten zu hören.

Ich halte das nicht mehr aus! Seit ich 12 Jahre alt und Waise bin, muss ich schon hier leben, im Kloster zu Riesa. Es gehört zum Bistum Naumburg und ist vor vier Jahrhunderten gegründet worden. Obwohl es zu Naumburg gehört, ist es das erste Kloster in der Mark Meißen! Darauf ist die Mutter Oberin besonders stolz. Zuerst haben Männer, also Mönche, hier gelebt. Das hat nicht gut geklappt und das Kloster wäre fast eingegangen. Dann hat man auch Nonnen hierhergeschickt, die seit 1234 das Kloster allein führen.

Seitdem laufen auch die Geschäfte besser, das Kloster ist gewachsen, reicher geworden.

Aber – verzeiht! – aus freien Stücken sind die wenigsten hier. Die meisten meiner Schwestern kamen als Witwen oder Unverheiratete hierher, weil sie sonst kein Auskommen gehabt hätten. Hier bietet man ihnen im Gegenzug für die ins Kloster eingebrachte Mitgift, Schutz und Obdach, Versorgung und Gemeinschaft.

Schon schlägt die Turmuhr! Und Gevatter Reichardt ist noch immer nicht erschienen! Als er jüngst im Kloster war, um seine Seife wohlfeil anzubieten, habe ich ihn beiseite genommen. Und ihn angefleht, mich hier herauszubringen. Und sobald ich erst in Torgau bin – Stadtluft macht frei! – dann kann mir niemand mehr etwas!

Viel soll sich geändert haben in letzter Zeit, hat Gevatter Reichardt mir berichtet. Jenseits der Grenze, bei den Ernestinern, soll ein Mönch ganz gewaltig Widerworte geben und die mächtigen Herrscher herausfordern. Man sagt sogar, er wolle alle Klöster abschaffen.

Aber darauf will ich mich nicht verlassen. Wer weiß, vielleicht ist das ja nur das Geschwätz der Leute. Oder vielleicht schafft dieser Mönch es doch nicht. Unsere Mutter Oberin wird er jedenfalls nicht so leicht ihres Klosters verweisen können. Sie wird sich wehren mit Händen und Füßen. „Wo kommen wir denn hin, wenn jeder dahergelaufenen Mönch mich meines Amtes verweisen könnte? Niemals werde ich mein Habit ablegen und weltliche Kleider tragen.“

Ja, an der Mutter Oberin kann man sich die Zähne ausbeißen…

Da ist er! Gevatter George ist da.

George:

Barbara? Bist du da? Wie verabredet?

Barbara:

Hier im hohlen Baum. Nun schnell aufs Pferd gesprungen und in schnellem Galopp hinweg aus Riesa. Torgau, ich komme!