Station: [3] Historische Vorbilder


Die Beweinung oder Grablege des toten Jesus, die trauernden Jünger oder die Herabsendung des Heiligen Geistes – im Lauf der Jahrhunderte hatte die christliche Kunst einen ganzen Kanon an biblischen Szenen hervorgebracht, der die Kirchen schmückte… … und im 19. Jahrhundert die Künstler und Auftraggeber inspirierte. Nach den Umwälzungen der Napoleonischen Kriege, Restauration, Rückzug und Romantik suchte man nach verlässlichen Werten. Also knüpfte man an die überlieferte christliche Ästhetik an. „Neue, schöne Formen für die Baukunst zu bilden, ist eine Unmöglichkeit, daher kann nur Befolgen des Alten stattfinden. Nur in der Zusammenstellung der Teile, ihrer Anordnung und Verzierung kann manches Eigentümliche geschehen.“ So äußerte sich 1837 ein Handbuch zur Geschichte der mittelalterlichen Architektur. Für die Künstler und Kunsthandwerker der Wiedenbrücker Schule bedeutete dies: Sie arbeiteten nach den tradierten Formen, die sie sich in Gestalt von Fotos oder Gipsabgüssen ins Atelier holten. Schauen Sie sich beispielsweise die Beweinung Christi in der linken Vitrine an: Das Gipsmodell ist die nahezu originalgetreue Kopie der frühneuzeitlichen Figurengruppe auf der Fotografie. Das Original stammt von dem großen Renaissance-Bildschnitzer Tilman Riemenschneider. Fotografie und Gipsabguss des Kopfes stammen jedoch aus der Werkstatt des Wiedenbrücker Bildhauers Anton Mormann, das Gesamtensemble aus dem Atelierhaus Hartmann. Der thronende Christus rechts daneben folgt der Formensprache der romanischen, also mittelalterlichen Kunst. Tatsächlich stammt der Abguss aber aus der Zeit um 1900 und hatte ebenfalls in der Werkstatt von Anton Mormann seinen Platz. 1854 bekam der Kunsttischler Franz Anton Goldkuhle den Auftrag, den Altar in der Wiedenbrücker Paterskirche neu zu gestalten. Er ersetzte den vorhandenen Altar aus dem 17. Jahrhundert gegen das eigene Werk. Das ursprüngliche Altarrelief aus Baumberger Sandstein galt seitdem als verloren – bis es vor einigen Jahren im Nachlass eines Wiedenbrücker Bildhauers wieder auftauchte. Sie sehen es in der Vitrine rechts. Offenbar hatten die Franziskaner-Mönche das Relief nach dem Ausbau beiseitegelegt und später an einen Fachmann übergeben – als Inspiration und Beitrag zu seiner Formensammlung.

Alle Abbildungen: Torsten Nienaber, © Wiedenbrücker Schule Museum