Station: [9] Die Schlange mit dem Schlüssel - Teil 2


Hanne und ihre Mutter gingen weiter und fanden eine Tür, hinter der eine Treppe zu einem unterirdischen Gang führte. Sie folgten diesem zu einer großen eisernen Tür, die schwer zu öffnen war und schrecklich quietschte. Endlich betraten sie ein Kellergewölbe, in dessen Mitte eine prächtig bemalte Truhe stand. Darauf lag, um ein goldenes Schlüsselbund zusammengerollt, eine große Schlange. Sie hob den Kopf, stieß zischende Laute aus und ließ ihre gespaltene Zunge aus dem Maul schnellen. Das sah unheimlich und sehr furchterweckend aus. Die Schlange blickte mit ihren starren, gelben Augen unverwandt auf Hanne. Diese war überrascht. „Kann das der verwünschte Junge sein?“, fragte sie ihre Mutter. Die antwortete: „Ich weiß es nicht. Sei vorsichtig!“ Als Hanne etwas ängstlich näher an die Truhe herantrat, schnappte sich die Schlange das Schlüsselbund mit dem Maul und richtete sich auf. Dann blickte sie Hanne wieder starr ins Gesicht. Die meinte jedoch, ein freundliches Glitzern in ihren Augen zu erkennen und hatte plötzlich keine Angst mehr. Sie trat weiter vor und nahm die Schlange in den Arm. Sofort wickelte diese sich um Hannes Hals und ihren Körper.

Die Mutter bekam einen gewaltigen Schrecken, sprang hinzu und wollte Hanne sofort von dem Tier befreien, aber die gab ein Zeichen. Sie hatte weiterhin keine Furcht und sagte ganz ruhig zu der Schlange: „Habe keine Angst. Ich möchte dir doch helfen, dass du wieder ein Mensch wirst.“ Und sie streichelte ihren Kopf.

Plötzlich fing der Körper der Schlange an zu zucken und zu zittern, und das Zucken wurde immer heftiger. Aus ihrem Körper wuchsen Arme, dann ein Kopf, Körper und Beine und auf einmal stand ein dankbar blickender Junge vor Hanne. Im selben Moment aber fing eine Glocke an zu läuten. In den Mauern knackste und krachte es. „Es ist Mitternacht, mach‘ schnell“, sagte der Junge. „Lass uns die Truhe öffnen und gehen!“ Er nahm den Schlüssel und schloss die Truhe auf.

Ach, was sahen sie darin für prachtvolle Dinge! Goldene Becher, Armreifen, Ringe und viele andere Kostbarkeiten. Aber der Krach wurde lauter und die Decke bekam schon Risse. Sie hatten gerade noch Zeit, einige wenige Dinge zu greifen, nahmen sich an der Hand und liefen mit Hannes Mutter zu einer weiteren Tür. Sie schlossen sie mit einem Schlüssel aus dem Schlüsselbund auf und stürzten ins Freie. Kurz darauf wankten auch schon die Mauern und Türme, und mit einem lauten Krach brach die ganze Burg in sich zusammen.

Text: Claus Fittschen, © Rodensteinmuseum
llustration; © Andrea Fischer, Fränkisch-Crumbach, mit freundlicher Erlaubnis