Station: [100] Das Micheleshaus


Gustav Gockel: Wo bleibt er denn? Er hat´s doch nicht etwa vergessen!? Ah … da kommt er ja. Mein Freund, der Archivarius Alfred. Der weiß alles über Mögglingen! Der schmökert nämlich gern in alten Büchern und Urkunden und so. Na, Alfred, wo bleibst du denn so lange? 

Archivarius Alfred: Na hör mal, Gustav Gockeln. Ein alter Mann ist doch kein D-Zug. 

Gustav Gockel: Du wolltest mir heute doch das älteste Wohnhaus im Dorf zeigen!?

Archivarius Alfred: Na, wir stehen schon direkt davor! 

Gustav Gockel: WAS? Das soll das älteste Wohnhaus von Mögglingen sein. Das sieht gar nicht so alt aus. 

Archivarius Alfred: Das wurde in den letzten Jahren ja auch wieder mächtig auf Vordermann gebracht. Das Haus ist aber über 500 Jahre alt! Der erste, der hier gewohnt hat, war ein Pfarrer. Zuerst wurde das Haus nämlich als Pfarrhaus genutzt und als Zehntscheuer. Weißt du, was eine Zehntscheuer ist? 

Gustav Gockel: Nee, so ein komisches Wort habe ich noch nie gehört. 

Archivarius Alfred: In früheren Zeiten waren die Bauern dazu verpflichtet, einen Teil ihrer Ernte abzugeben. Je nachdem auf wessen Land der Bauernhof stand, mussten sie ihre Ernte entweder zu einem Adeligen bringen oder zur Kirche. Abgeben mussten sie dabei immer den zehnten Teil – und der wurde dann in einer Scheune aufbewahrt. Daher auch der Name Zehnt-Scheuer. 

Gustav Gockel: Aha, aha. Zehntscheuer: Merk ich mir.  

Archivarius Alfred: Später wurde für die Pfarrer dann ein anderes, neues Haus gebaut. Schau mal, das steht direkt hier gegenüber, auf der anderen Straße. Siehst du das große Haus mit der rosa Fassade?    

Gustav Gockel: Boah, das sieht ja mächtig prächtig aus. 

Archivarius Alfred: Das hat ein berühmter Baumeister entworfen. Johann Michael Keller der Jüngeren. So hieß der Mann. In der Stadt Schwäbisch Gmünd stammen viele wichtige Gebäude ihm. Zum Beispiel das Rathaus. Apropos Rathaus. Wieder zurück zu unserem alten Wohnhaus hier. Weißt du, nachdem der Pfarrer ausgezogen war, zog der Bürgermeister hier eine Zeit ein. Samt Amtsstube, also quasi seinem Büro. 

Gustav Gockel: Aber sag mal Archivarius, die Leute nennen das Haus immer … ähm … so ein komischer Name ist das …. Micheleshaus, nennen sie es.

Archivarius Alfred: Das kommt daher, weil hier vor etwa 100 Jahren ein Mann namens Michael Schweizer gelebt hat. Der war Bauer von Beruf. Und weil er direkt gegenüber der Kirche wohnte, nannten ihn die Leute nur Kirchen-Michel. Und sein Haus wurde Micheleshaus genannt. So wusste jeder im Dorf gleich, von wem die Rede ist.  

Gustav Gockel: Ach, dann könnte ich meinen Hühnerstall ja auch Gustavleshaus nennen. 

Archivarius Alfred: Naja, oder so ähnlich.

Fotos: © Jürgen Bahnmayer