Station: [6] Carl August Wildenhahn (1805-1868)


Carl August Wildenhahn

geboren 1805 – verstorben 1868

 

Mein Juni 1837

In Dresden nimmt der 32jährige Theologe Abschied, steigt zusammen mit seinem Reisegefährten Julius in einen Postwagen und fährt…

… dahin, wohin dich die Träume deiner Kindheit schon getrieben haben, ins Land der ewigen Eisberge und der zierlichen Berner Mädchen, wovon schon so viele langweilige Beschreibungen existieren, zu welchen auch du einen kleinen Beitrag zu geben entschlossen bist!

Sein „kleiner Beitrag“ ist ein ganz und gar nicht langweiliges Tagebuch der dreiwöchigen Reise. Sie führt ihn durch Bayern in die Schweiz und auf dem Rückweg durch Baden und Württemberg mit letzter Station in Stuttgart. Wildenhahn berichtet über Reiseerlebnisse, über Menschen, Städte, Landschaften sowie die eigenen Reisequalen und -freuden, und reichert es mit herrlichen Zeichnungen an. 

Entstanden ist ein Reisebild aus der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, der Endphase der Postkutschenzeit. In Nürnberg können die beiden Reisenden schon die erste Eisenbahn probieren. Schon in dieser Zeit floriert der Tourismus in der Schweiz – die zahlreichen reiselustigen Engländer verdürben die Preise, so vermerkt Wildenhahn. Die Gletscher reichen noch weit in die Täler – inzwischen sind sie alle weggeschmolzen.

Nicht nur die ewigen Eisberge will er erleben, und so schreibt er:

… hin geht es zu ihr, die am Ufer des Genfer Sees wandelt, und ihr braunes Auge nach Norden wendet.

Gemeint ist Louise, die in diesem Juni 1837 vergeblich auf ihn wartet. Bis an den Genfer See haben die Zeit oder das Geld nicht gereicht. Doch im Jahr darauf heiraten die beiden. Er ist inzwischen im Kirchendienst tätig, zuerst in Schönefeld bei Leipzig und später in Bautzen, wo er bis zu seinem Lebensende bleiben wird. Die kirchliche Tätigkeit verbindet er mit einer intensiven schriftstellerischen Produktion, er schreibt Fachbücher und Unterhaltendes, z.B. Reisebeschreibungen.

Bereits in Dresden gehörte Carl August Wildenhahn zum literarischen Kreis um Ludwig Tieck, der seinerzeit mit Reisebeschreibungen bekannt wurde. Und auch mit Robert Schumann verbindet den Musikliebhaber eine so enge Freundschaft, dass er im September 1840 den Komponisten und Clara Wieck in Schönefeld bei Leipzig traut.

Ein Höhepunkt in der Schweiz, und das ist auch als Höhenmaß zu verstehen, ist die Wanderung über die Hohe Scheidegg in den Berner Alpen. Dazu soll Wildenhahn zitiert werden:

 

Eine schöne Wanderung:

Eiseskälte an den Füßen, bis an den Leib in Schnee und Wasser, der Sonne Gluth auf dem Haupte, das ist ein Mittel, Närrische vernünftig und Vernünftige närrisch zu machen. Dabei war alles still um uns, und zuweilen brauste der Donner einer Lawine vom Wetterhorn hinunter in die Thäler hinein: Der Athem wollte nicht mehr zulangen – die Knie brachen – Der Führer hatte den Weg verloren – das fehlte noch – aber siehe, plötzlich traten die Silberhörner der Jungfrau vor, deren Glanz uns so zaubrisch anleuchtete, daß wir neuen Muth gewannen, und nach einer äußerst mühsamen halben Stunde auf dem Gipfel der Hohen Scheidegg standen.

 

Auf dem Abstieg:

Endlich erreichten wir wieder schneefreie Matten, und standen nun mit einem Mal vor dem prachtvollen Grindelwaldgletscher, zwischen dem Wetterhorn und dem Metterberg, wunderbar anzusehen, wie ein zwischen einer ungeheuren Felsenschlucht eingefrorener Strom, zusammengeschobne Eisblöcke, silberweiß und in den Vertiefungen himmelblau und oben drüber der glühende Sonnenstrahl.

Dicht neben dem Gletscher stand eine Sennhütte, der Senn nahm uns freundlich auf und nun lagerten wir uns auf den weichen Matten, aßen Milch und Käse und Brot, und siehe!, um uns schauten uns zu das Wetterhorn, der Grindelwaldgletscher, das Schildhorn, der Metterberg, der Mönch, der Eiger und hinter ihm die verschämte Jungfrau.

Alle Abbildungen: © Gerhard Seitz, Das Deutsche Tagebucharchiv e.V.