Station: [8] Brigitte Brandt (1921-1991)


Brigitte Brandt

geboren 1921 – verstorben 1991

 

Tagebuch 1945

Noch am 30. Januar 1945 schreibt Brigitte Brandt in einem Brief an ihre Eltern:

Ich bin ganz froh, dass wir noch nicht auf einem Treck sitzen, 20 Grad Kälte und unvorstellbar tiefer Schnee, die Kinder könnten mir glatt erfrieren. Meiner Ansicht nach kann uns doch nicht viel passieren. Aber mit dieser Ansicht stehe ich ziemlich allein in der allgemeinen Weltuntergangsstimmung hier. Macht Euch bloß keine Sorgen um uns, wir werden‘s bestimmt irgendwie überstehen, ich bin ganz ruhig.

Sie lebt zu diesem Zeitpunkt mit ihren 4 und 5 Jahre alten Töchtern in Groß Mölln (Mielno) in Pommern, wo sie als Lehrerin tätig ist. Ihr Mann ist im Kriegseinsatz. Da sie glaubt, den Strapazen einer Flucht nicht gewachsen zu sein, entscheidet sie sich zum Bleiben.

Am 1. Februar 1945 beginnt ihr Tagebuch: 43 eng beschriebene Seiten in einem kleinen Kalender aus dem Jahre 1942. Es sind knappe Notizen über die Geschehnisse beim Einzug der sowjetischen Truppen, über die vor allem die Frauen treffende Gewalt und ihren eigenen, verzweifelter Kampf um das Wohl ihrer erkrankten Kinder und das eigene Überleben.

Die Eintragungen enden am 1. Juli 1945. Wenig später kann ihr Mann die Familie nach Berlin holen.

28.2.1945:

Ich bin verzweifelter denn je. Puz hustet. Bärbel hat fast ganz zugeschwollene Mandeln. Ich habe dick geschwollene Schamlippen, kann kaum gehen, kein Arzt. Mit Mühe bekomme ich etwas zum Gurgeln für Bärbel. Kinderwagen gestohlen, als ich nachfrage, verhöhnen mich russische Offiziere. Ich kann bald nicht mehr. Wie im Gefängnis in der kalten Kammer mit vergitterten Fenstern neben dem Pferdestall. Schwester Martha hat Diphterieverdacht bei Bärbel. Zum russischen Arzt.

Kind durch Matsch tragen. Sympathischer Arzt. Schwere Angina, evtl. Diphterie. Ich evtl. geschlechtskrank, er will Spülungen machen. Als er unsere Wohnverhältnisse hört, stellt er uns ein Zimmer zur Verfügung. Im alten Quartier werden die Soldaten rabiat, wollen mich noch vergewaltigen, ich schlage großen Krach, große Szene, zwei Offiziere begleiten mich ungläubig zum Arzt. Schließlich bekomme ich meine Sachen raus, übernachte im Arztzimmer. Offiziere tun das nicht. Eine Stunde später kam er zu mir: Nur einmal! Russische Nacht, alles bricht auf, morgens alle fort, wie gespenstisch. Wieder bin ich allein und ratlos.

Alle Abbildungen: © Gerhard Seitz, Das Deutsche Tagebucharchiv e.V.