Station: [15] Bibelherstellung im Mittelalter: Das Skriptorium


Na? Hast du dich ins finstere Mittelalter verirrt? In die Zeit der sich die Menschen nicht wuschen, in Seuchen und Kriegen starben, nicht lesen und schreiben konnten und Hunger und Kälte litten?

Das ist natürlich alles Quatsch… oder zumindest nur die halbe Wahrheit. Schmutz, Hunger, Seuchen und Kriege gab es immer und wird es immer geben. Und was das Lesen und Schreiben angeht: Ja, im Mittelalter können viele Menschen nicht lesen. Aber es gibt auch viele Menschen – Mönche und Nonnen –, die wahre Meisterwerke der Buchkunst erschaffen… in den Tempeln der Gelehrsamkeit, den Klöstern.

Hat dir deine Mutter oder dein Lehrer schonmal gesagt, was du für eine Sauklaue hast?

Also wirklich! Wie soll man das lesen können! Was für eine Zumutung!

Siehst du! Und jetzt schau mal auf das Blatt, das einer meiner Brüder und Mit-Mönche hier auf seinem Schreibpult liegengelassen hat. Eine 1-A-Handschrift, wie gestochen. Denn Schreiben gilt für uns im Mittelalter als hohe Kunst! Und so sitzen ganze Generationen von Mönchen und Nonnen in den Schreibstuben ihrer Klöster und schreiben – Urkunden, Heiligenlegenden, Chorbücher und natürlich das wichtigste aller Bücher, das Buch der Bücher: die Bibel.

Ich weiß, ihr Menschen aus dem 21. Jahrhundert, ihr findet die Schreibpulte und-bänke meiner Brüder und Schwestern unbequem. Ihr schreibt lieber auf ebenen Flächen, über die ihr euch dann ganz tief hinüberbeugen müsst. Wir ziehen allerdings die schräggestellten Schreibflächen vor. Da sitzt man schön gerade und kann jeden Buchstaben einzeln auf das Pergament bringen – mit wohlgemessenem Schwung, nicht zu schnell und nicht zu langsam. Denn die Besinnung, das ist das Maß aller Dinge.

Multifunktionsdrucker mit 10 bis 12 „printed pages per minute“ im Auswurf – tss, tss, tss, das ist nichts für uns. Denn „time ist nicht money“ und das Wort Gottes braucht seine Zeit und auch ein ordentliches Stückchen Ausdauer.

Wenn du magst, kannst du ja selbst mal testen, wie es sich so anfühlt, die Bibel in schönster Sonntagsschrift mit der Hand abzuschreiben. Auf dem zweiten Pult, da haben sich schon ein paar deiner Zeitgenossen versucht. Sie nehmen dafür keine Feder und keine Tinte, sondern diese neumodischen Kugelschreiber. Tss, tss, tss… Aber vielleicht magst du ja mitschreiben? Versuch’s einfach!

Alle Abbildungen: © Bibelgalerie Meersburg