Station: [4] Die Kapelle


Die Kapelle mit ihren markanten Stufengiebeln ist das Herzstück der Heiligengraber Klosteranlage. Denn in ihr befindet sich das, was dem Ort seinen Namen gab: ein Grab, das im ausgehenden Mittelalter Scharen von Pilgern angezogen haben soll.

Der heutige Bau ist allerdings nicht der erste an dieser Stelle. Die Kapelle, so wie Sie sie sehen, wurde in den Jahren um 1520 erbaut und folgte auf zwei deutlich kleinere Vorgängerbauten.

Anna von Rohr, die damalige Äbtissin, nahm zwischen 1510 und 1530 umfangreiche Um- und Ausbauten des Klosters vor: Sie ließ die Kapelle neu errichten und die Abtei erweitern. Sie gab auch 15 großformatige Bildtafeln in Auftrag, die eine typisch mittelalterliche, judenfeindliche Gründungslegende erzählen.

Die Pilger, die von Westen ankommend, das Kloster erreichten, betraten die Kapelle durch die giebelseitige Tür auf der der Abtei abgewandten Seite. Beim Eintritt erblickten sie eine ebenerdige Grabplatte mit einer Darstellung des liegenden Leichnams Jesu darauf. An einer Empore hingen die 15 bemalten Tafeln, auf denen die judenfeindliche Gründungslegende des Klosters dargestellt war. In einer Monstranz war die Hostie – das damals so genannte „Heilige Blut“ – ausgestellt, deretwegen die Pilger nach Heiligengrabe kamen. Doch ob es wirklich so viele waren wie oft behauptet, das weiß niemand. Und ob das Kloster tatsächlich die erhofften Einnahmen verzeichnen konnte, ist ebenso ungewiss.

Nach der Reformation endeten die Wallfahrten. Die Kapelle verlor ihre Bedeutung und drohte zu verfallen. Im 18. Jahrhundert verfügte der preußische König Wilhelm I. gar, die Kapelle abzureißen. Glücklicherweise wurde sie nur in eine „Schüttbude“, also in einen Kornspeicher, umgewandelt. Erst die Mittelalterbegeisterung des 19. Jahrhunderts erweckte die Kapelle zu neuem Leben. Auf Geheiß des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. wurde sie wieder instandgesetzt und von den Stiftsdamen nun für ihre täglichen Gebetsstunden, die sogenannten Horen genutzt.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts steuerte Kaiser Wilhelm II. weitere 50.000 Mark für Restaurierungsarbeiten bei und stattete dem Damenstift mit großem Pomp einen Besuch ab. Zu diesem Anlass entstanden das Chorgestühl, die Glasfenster und die aufwendigen Wandbemalungen, die die Geschichte des Klosters und des Damenstifts in mittelalterlich anmutender Bildsprache erzählen und bis heute sichtbar sind.

Abbildung 1 © Hagen Immel
Abbildung 2 © Paul Donnerhack