Station: [6] Wozu waren Klöster gut?


Also, jetzt heraus mit der Sprache. Wie war das mit deiner Geschichte?

Meine Geschichte spielt vor hunderten von Jahren. Als hier in Heiligengrabe noch Nonnen lebten. Die führten ein einsames Leben und durften nichts und niemanden sehen. Das Kloster selbst – also die Gebäude wie zum Beispiel dieser Kreuzgang hier, die sahen damals schon ziemlich ähnlich aus.

Aber was ist jetzt mit dir passiert?

Ach, ich hatte das Unglück, dass sich zwei Brüder gleichzeitig in mich verliebten! Es waren die Brüder einer anderen Nonne, und deswegen durften sie manchmal ins Kloster kommen, um ihre Schwester zu besuchen. Der eine – Hans – war schüchtern und zart. Und der andere – Wedigo – der war ein echter Draufgänger. Das ging natürlich nicht gut. Und als sie eines Tages bemerkten, dass sie sich in dieselbe Frau verliebt hatten… Da nahm das Unglück seinen Lauf.

Was denn für ein Unglück?

Sie haben sich umgebracht! Gegenseitig.

Au weia!

Krass!

Und ich, ich habe mich so geschämt, dass ich mich hier im Kreuzgang in eine winzigkleine Kammer habe einmauern lassen.

Was? Einmauern?

Ja, zunächst haben mir die anderen Nonnen noch Essen und Trinken gebracht. Aber irgendwann bin ich dann sozusagen in der Wand verschwunden… und wurde vergessen. Ganz zu Recht, denn ich hatte große Schuld auf mich geladen.

Aber das stimmt doch nicht! Du kannst doch nichts dafür, wenn die beiden Brüder sich nicht unter Kontrolle haben. Und überhaupt. Warum konnte dich denn nicht wenigstens einer von denen heiraten?

Weil ich eine Nonne war. Da musste man im Kloster bleiben. Für immer. 

Früher war das ganz normal. Da wurde mindestens ein Mädchen der Familie – manchmal auch ein Sohn – oft gleich nach der Geburt von ihren Eltern im Kloster angemeldet – „eingeschrieben“, wie man das damals nannte. Dafür gab es ein dickes Buch, in das die Namen eingetragen waren und die Eltern bezahlten dafür oft sogar sehr viel Geld. Und wenn sich bis zum 14. Lebensjahr kein Mann bzw. keine Frau für sie gefunden hatte, der sie heiraten wollte, dann wurde das Kind auch tatsächlich ins Kloster gegeben. So war das auch bei mir. Aber das hört sich schlimmer an als es war. Denn eigentlich war es eine Ehre, ins Kloster aufgenommen zu werden. Nicht heiraten und viele Kinder bekommen zu müssen, und auch der ganze Alltags-Ärger, den man dann am Hals hat, all das blieb mir erspart. Obwohl… eigentlich hätte ich den Hans schon gerne geheiratet. Na ja… aber jeder hat halt sein Schicksal und dem entkommt er nicht…

Macht’s gut, Kinder! Und passt gut auf euch auf!

Hallo? Anna? Schon wieder weg! Was für eine verrückte Geschichte!

Alle Abbildungen © Kloster Stift zum Heiligengrabe