Station: [28] Die Steine der leichten Geburt


Die Steine der leichten Geburt

Auf dem Weg zwischen dem „Fallenden Bach“ und der „Freiheit“ gab es früher eine Stelle, an der eine kleine Quelle umliegende Steine freigespült hatte. Heute ist diese Stelle überwachsen und nicht mehr zu sehen.

Von diesem kleinen Geröllfeld erzählt die Sage, dass die Steine aus dem Quellbereich schwangeren Frauen zu einer guten Geburt verhelfen. Man müsse den Stein in das Wasserloch tauchen und ihn im Wochenbett bei sich haben.

Wichtig sei, dass die Steine nach der Geburt wieder zurück gebracht werden mit dem Spruch: „Schönen Dank und ein andermal wieder, wenn die Bitte erlaubt ist“. Oder einfach nur mit Dank.

Werner Bergengruen hat diese Sage in der Erzählung „Die Steine“ aufgegriffen. Er erzählt von einer geschäftstüchtigen, aber auch geizigen Hebamme aus Michelstadt, die von der Zauberkraft der Steine erfahren hatte.

Der Gedanke an eine solche Kunst und den Vorteil, den sie ihr vor allen anderen Geburtshelferinnen sichern musste, ließ sie nicht los, und so entschloss sie sich auf die lange Wanderung und brachte eine ziemliche Anzahl von Steinen heim.

Es funktionierte. Alle Wöchnerinnen, die von ihr betreut wurden, hatten eine leichte Geburt. Die Hebamme wurde reich.

Aber – sie bedankte sich nicht und brachte die Steine nicht zurück, denn der Weg war ihr zu mühsam. Da geschah etwas Seltsames: Auf einmal tauchen Steine auf, wohin auch immer sich die Hebamme bewegte. Es wurden immer mehr Steine, schließlich verlor sie fast den Verstand und warf wütend mit den Steinen um sich. Ein schmerzliches Wimmern zeigte, dass sie ihrem Enkeltöchterchen, das hinter ihr spielte, das Auge getroffen hatte. Da war die Reue groß.

Die Geschichte nahm dann doch noch ein gutes Ende: Als die Enkeltochter selbst ein Kind erwartete, verhielt sie sich, wie es sich gehörte, und brachte die Steine zurück. Das Kinderkriegen – so schreibt Bergengruen – ging ihr so leicht ab, wie der Henne das Eierlegen.

 

Text: Erika Schäfer, © Rodensteinmuseum
Abb. „Steine auf Sackleinwand“ Foto:  © C. Fittschen