Station: [15] Der Henry van de Velde-Stil in Bürgel


Klare Formen, kräftige Farben!

Henry van de Veldes Entwürfe brachten den Geist des Art Nouveau ins Töpferstädtchen Bürgel:

… ich veränderte Profile und Formen, um den Prozess der Glasuren zu beschleunigen oder zu verlangsamen; ich unterbrach ihn durch vorspringende Elemente und leitete die Glasur in Rillen, um das Tempo des Flusses der Glasuren zu regeln. Um die Temperaturen zu verändern, verwendete ich Feilspäne und Messing- oder Kupferdrähte, die – je nachdem die Hitze weniger oder mehr als tausend Grad betrug – zu grünen oder roten Färbungen führten: zu jenen roten Ochsenblutfarben, die die japanischen und chinesischen Keramiker über alles schätzten.“

So beschreibt van de Velde selbst sein Wirken in Bürgel. In den nach seinen Entwürfen gefertigten Gefäßen spielen die Farben eine entscheidende Rolle: 

Einige seiner Gefäße weisen die organischen Ornamente des Jugendstils in Ton-in-Ton-Farbgebungen auf. So können Sie in der Nähe des Eingangs eine blaue Vase mit flächigem Dekor in Engobemalerei bewundern.

Auch eine besondere Bürgeler Gestaltungsidee inspiriert den belgischen Meister: Van de Velde nimmt das Blauweiß-Dekor auf und integriert es in seine eigene Formensprache. Mit den spitzwinkeligen Henkeln heben sich seine Entwürfe deutlich von der bis dahin produzierten Gebrauchskeramik ab. Das Blauweiß-Dekor war Ende des 19. Jahrhunderts in Bürgel entstanden. Van de Veldes Umsetzungen sind heute die ersten klar datierbaren Blauweiß-Stücke. Die gestalterisch anspruchsvolle Ausführung unter van de Velde trägt sicherlich entscheidend zur Beliebtheit und dem hohen Ansehen des Blauweiß-Dekors bei, die bis heute anhält.

Das eigentliche Markenzeichen der van-de-Velde-Keramik und des Bürgeler Jugendstils sind jedoch die Laufglasuren in den verschiedensten Farbkombinationen: gelb-blau, gelb-grün, hellblau-dunkelblau oder braun-blau. Van de Velde wählt die Gestalt eines Gefäßes so, dass die Glasuren darauf effektvoll verlaufen können. Dennoch räumt er auch dem Zufall einen gewichtigen Platz in seinem Schaffen ein: Wie das Gefäß später genau aussehen wird, entscheidet sich erst während des Brennprozesses. Mehr noch als ohnehin in der Keramik ist also jedes Stück ein Unikat, da die Glasuren nicht zwei Mal identisch verlaufen. 

Damit knüpft van de Velde – bewusst oder unbewusst – an die Tradition der „Blauen Schürze“ an, also an die zufällige Einfärbung des Steinzeugs, bei der der Töpfer das Salz-Kobalt-Gemisch blind in den brennenden Ofen wirft.

 

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Zitat van de Velde: Henry van de Velde und die Bürgeler Jugendstilkeramik, herausgegeben vom Förderkreis Keramik-Museum Bürgel und Dornburger Keramik-Werkstatt e.V., S. 29.