Station: [2] Grabstein des Tiberius Iulius Abdes Pantera
F: Dein Name, Soldat!
M: Tiberius Iulius Abdes Pantera.
F: Woher kommst du? Wo hast du gedient?
M: Geboren wurde ich 22 vor Christus. Ich stamme aus der phönizischen Stadt Sidon, im heutigen Libanon. Gestorben? Bin ich hier am Rhein, um 40 nach Christus. Man hat mich in Bingium bestattet, in Bingen am Rhein.
F: Vor uns steht der Soldat Tiberius Iulius Abdes Pantera. Genauer gesagt: sein Grabstein, der den Hinweis zu einer geheimnisvollen Legende trägt. Der Stein ist etwa 1,60 Meter hoch und knapp 80 Zentimeter breit. Im unteren Bereich befindet sich eine Inschrift – fünf Zeilen lang und voller kryptischer lateinischer Abkürzungen.
M: Tiberius Iulius Abdes Pantera
Sidonia annorum Sexaginta-Duorum
stipendiorum quadraginta miles
exs|cohorte prima sagittariorum
Hic situs est
F: Tiberius Julius Abdes Pantera aus Sidon, 62 Jahre alt, mit 40 Dienstjahren, Soldat der ersten Kohorte der Bogenschützen, liegt hier begraben.
M: Geburtsort, Alter, Position im Militär, Dienstzeit – ist doch alles fein säuberlich in Stein gemeißelt. Man muss die Abkürzungen nur zu dechiffrieren wissen. 62 Jahre wurde ich alt, für einen Soldaten ein stolzes Alter. Aber auch meine Dienstzeit kann sich sehen lassen! 40 Jahre stand ich im Dienst des Römischen Imperiums. Gedient habe ich in der ersten Kohorte der Bogenschützen. Ich erhoffte mir Ruhm und Sold und gesellschaftlichen Aufstieg durch das römische Bürgerrecht. Das wurde mir tatsächlich nach 25 Dienstjahren verliehen.
F: Inschrift und Darstellung unseres Verstorbenen sind fein gemeißelt. Unser Soldat trägt eine knielange Tunika – eine Art Hemdkleid. An seinem Gürtel hängen ein Schwert und ein Dolch und quer über der Brust verläuft das Trageband für den Köcher. In der rechten Hand erkennt man Überreste eines Bogens. Der obere Teil des Steins ist abgebrochen, so wissen wir also nicht, wie das Gesicht unseres Soldaten ausgesehen hat.
M: Mein Gesicht mögt ihr nicht kennen, aber trotzdem erfahrt ihr doch ziemlich viel: Der Name Tiberius Iulius verrät, dass ich römischer Bürger war. Das Bürgerrecht wurde mir zu Zeiten des Kaisers Tiberius verliehen. Er herrschte über Rom von 14 bis 37 nach Christus. Der Name Abdes ist jüdisch und bedeutet „Diener“.
F: Und dein Rufname Pantera?
M: Er könnte eine Anspielung sein. Vielleicht war ich flink wie eine Katze!? Pantera heißt übersetzt nämlich Panther. Womöglich hatte es auch mit dem Tierfell zu tun, welches die Feldzeichenträger als Kopfbedeckung trugen – und mit deren Mut und Einsatz ich mich vergleichen möchte.
F: Gefunden wurde der Grabstein im Oktober 1859 nahe Bingerbrück, beim Bau der Eisenbahn. Schon kurz nach seiner Entdeckung erlangte der Stein gewisse Berühmtheit, was mit einer Legende zusammenhängt. Genauer gesagt mit einer antichristlichen Streitschrift des griechischen Autors Celsus. In dieser wird unterstellt, ein römischer Soldat namens Pantera sei der leibliche Vater von Jesus Christus.
M: Die Geschichte von der jungfräulichen Empfängnis nur erfunden, gar von Jesus selbst? Unerhört!
F: Seit dem 20. Jahrhundert versucht man, die antiken Schriftquellen mit archäologischen Funden zu stützen. Wie mit diesem Grabstein. Doch ein endgültiger Beweis fehlt. Die Namensgebung ist nicht so außergewöhnlich, als dass man sie auf eine bestimmte Person beziehen könnte. Und so bleibt die Geschichte um Pantera wohl vor allem eines: eine spannende Legende.
Foto: © Römerhalle Bad Kreuznach