Station: [2] Kassenraum


Liebes Tagebuch, es ist gar nicht so einfach, eine Museumsmaus zu werden. Zuerst: Man muss lernen, lernen, lernen! Überall herumhuschen, alles anschauen, sich alles merken und kombinieren. Und irgendwann beginnt man, die Dinge zu verstehen. Doch ich kann dir sagen: Es ist ein weiter Weg bis dahin. Und vor allem: Man darf sich nicht erwischen lassen. Denn die meisten Menschen mögen keine Mäuse, auch nicht im Museum. 

Die Menschen, die hier in Reichenbach wohnen, die mögen vor allem alte Dinge, habe ich bemerkt. Und dass diese Dinge manchmal kaputt sind, das finden sie nicht so schlimm.

Hier, dieser furchterregende Adler beispielsweise. Als ich den das erste Mal getroffen habe, bin ich schier erstarrt vor Angst.

Oh je! Ein Adler!

Keine Angst, kleine Maus. Ich kann dir nicht gefährlich werden…

Nicht… gefährlich…?

Ich habe doch gar keinen Kopf mehr. Und auch keinen Schnabel, mit dem ich dich fressen könnte.

Keinen Kopf mehr… ach ja, stimmt. Dann werde ich nicht… gefressen. Puh, hast du mich erschreckt! Mit deinen großen, breiten Flügeln.

Ja, die sehen beeindruckend aus. Sollen sie auch. Schau mal hier: Früher saß ich ganz oben auf einer Säule – einem Denkmal, das hier in Reichenbach mitten auf dem Markt stand. Ein Denkmal für die Reichenbacher Soldaten, die in den Einigungskriegen gefallen sind. Die sind aber lange vorbei. Und auch das Denkmal ist schon lange kaputt. Und nur ich bin übriggeblieben. Und diese Postkarte. Von früher. Die kannst du in dein Tagebuch kleben, wenn du magst.

Oh, vielen Dank, lieber Adler. Aber sei nicht traurig: Jetzt bist du doch hier im Museum. Als Erinnerung.

Genau wie der Kollege dort vorne… oder was von ihm übrig ist.

Die steinerne Hand?

Sie gehörte einer Statue, die im Park von Schloss Krobnitz stand – unweit von hier. Das Anwesen hatte sich der Kriegs- und Marineminister Albrecht Theodor Emil Graf von Roon zu seinem Altersruhesitz erwählt. Vor der Gruftkapelle seiner Familie stand eine Statue des Ministers selbst in der Uniform des Deutschen Ritterordens. Sehr ehrfurchtserbietend.

Oh je, oh je.

Aber auch diese Statue ist Geschichte. Sie wurde gesprengt und nur ein paar Teile sind übriggeblieben. Unter anderem ihre linke Hand.

Und die Statue von diesem armen Kind… wurde auch… gesprengt?

Keine Ahnung! Der Junge kommt aus dem Schloss in Mengelsdorf. Aber was da genau passiert ist… weiß keiner. Sieht jedenfalls übel zugerichtet aus, der Kleine.

Das kann man wohl sagen.

Wie wir alle. Aber immerhin haben wir jetzt ein neues Zuhause hier im Museum gefunden. Zwischen all den anderen Dingen von früher…

…und einer Museumsmaus von heute. Jedenfalls: danke für die Auskunft, lieber Adler. Und danke, dass du mich nicht gefressen hast.

Keine Ursache.

So habe ich hier im Museum meine ersten Bekanntschaften geknüpft, liebes Tagebuch. Es ist sehr aufregend hier. Und ich kann dir versichern: Hier gibt es noch viel mehr zu entdecken. Fortsetzung folgt.

Fotos: © Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbund gGmbH