Station: [6] Christian Krohg: „Augenzeugen“ (n. d.)


Zur nächtlichen Stunde wird ein einfaches Fischerhaus zur dramatischen Bühne: Zwei bärtige Seemänner in Ölzeug und Südwester treten soeben durch die Tür, von rechts eilt ihnen eine junge Frau entgegen. Im Schein ihrer Petroleumlampe, die das dunkle Zimmer nur notdürftig erleuchtet, schaut man in die ernsten Gesichter der Seeleute. Die Konturen des älteren heben sich kaum von der Schwärze der Nacht ab – mit bleichem Gesicht starrt er geradeaus. Der vordere, in gelber Öljacke, lässt seine Arme hängen und blickt zu Boden. Was genau geschehen ist, überlässt der Maler unserer Phantasie, doch offenbar haben die Männer keine guten Nachrichten zu überbringen. Das gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstandene Gemälde zählt zu einer umfangreichen Serie von Werken des norwegischen Künstlers Christian Krohg, die das Motiv der sogenannten „Augenzeugen“, also der unfreiwilligen Berichterstatter eines Schiffsunglücks, behandeln. Unwetter und unvorhersehbare Wetterumschwünge dominierten das Leben der Fischer – sie waren den Naturgewalten ausgesetzt und Unglücke bildeten einen festen Bestandteil des Lebensalltags. Christian Krohg schloss sich der skandinavischen Künstlergemeinschaft der sogenannten Skagen-Maler an, zu der etwa auch Michael Ancher und Peder Severin Krøyer gehörten. Während diese zu einer eher heroisierenden Darstellung des Fischerlebens tendierten, die Männer in malerische Strandkulissen einbetteten oder als eingeschworene Mannschaft am Meeresufer stehend zeigten, brachte Krohg vielfach dramatische Darstellungen hervor, welche die Fischer in akuten Gefahrensituationen auf See zeigen.