Station: [3] Können Wappen sprechen?


Also, bis vor kurzem sah das hier alles ganz anders aus. Die Wände waren hell und ohne Muster, ziemlich schlicht. Nichts Besonderes eben. Und dann – im Jahr 1901 – ist der Kaiser zu Besuch gekommen. Er hat die Kapelle gesehen und sich gedacht: Das muss hier alles schöner, prächtiger und würdevoller werden!

Er hat Geld lockergemacht und die Wände der Kapelle neu anmalen lassen. Und die Fenster auch. Und auch den Altar und die schicken Möbel aus Holz – alles neu!

Und dann ist der Kaiser wieder zu Besuch gekommen. Er wollte ja schließlich sehen, wie es geworden ist und wie seine frisch renovierte Kapelle jetzt aussah. Und ich kann dir sagen: Da war ganz großer Bahnhof hier in diesem verschlafenen Heiligengrabe! Wir mussten alle unsere weißen Festkleider anziehen, wir hatten geflochtene Blumenkränze im Haar und mussten der Reihe nach vor dem Kaiser einen Knicks machen. Die Äbtissin, also die oberste Chefin des Heiligengraber Stifts, hatte eine lange Schleppe um und vier von uns waren ausgewählt und durften diese Schleppe tragen… damit sie nicht auf dem Boden herumschleift. Ich kann dir sagen! Das war vielleicht ein Bohei!

Und der Kaiser, der ist mit Kennermine in der Kapelle herumgegangen und hat genickt und gesagt: „Jaja, sehr schön“ und „ausgezeichnete Arbeit“ und so. Ich glaube, er war sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Und die Äbtissin auch. Denn die neuen Wandbemalungen, die der Kaiser hatte anbringen lassen – die führen alle Namen der Äbtissinnen auf, die das Kloster Heiligengrabe seit hunderten von Jahren regiert haben – mit ihren Namen und ihren Wappen! Denn die Äbtissinnen oder „Dominae“, das waren natürlich alles Damen von edler Geburt! Aus großen Adelsfamilien. 

Und die hatten natürlich auch ihre Wappen. Besonders viele aber und vor allem bunt ausgemalte Wappen, die findest du auch hier an den Kapellenwänden, auf einem umlaufenden Fries, also auf einer Art Schrift- und Bildband.

Hinten links, an der westlichen Kapellenwand, siehst Du zum Beispiel das Wappen der Domina Juliane Dorothea Gans Edle Herrin zu Putlitz. Wenn die mit ihrem ganzen Namen unterschrieb, da war die Postkarte schon voll! Ihr Wappen zeigt sinnvollerweise eine silberne Gans, denn sie hieß ja „Gans zu Putlitz“. Und wenn ein Wappen den Namen der Person als eine Art Bild darstellt, dann spricht man von „redenden Wappen“. 

Auch das Wappen ihrer Nachfolgerin, der Domina Christiane Charlotte von Einsiedel ist so ein redendes Wappen: Es zeigt im Schild einen Mönch – oder eben einen Einsiedler. Denn so nannte man im Mittelalter Menschen, die absichtlich einsam, in Armut und Bescheidenheit lebten. 

Manche Wappen – die „redenden Wappen“ – sind also echte Bilderrätsel. An ihnen kann man besonders gut erkennen, wie das Zusammenspiel von Name und Symbol funktionierte. Und ich frage mich doch, wie wohl das Wappen von unserer Lehrerin Fräulein von Tippelskirch aussehen mag? Vielleicht ein kleiner Zwerg, der auf einer Kirche herumtippelt?

Und wie heißt du? Könnte man aus deinem Namen auch so ein redendes Wappen machen? Bei mir – Rosina von Witzleben – das geht das schlecht. „Witz“ und „Leben“ gibt es zwar, aber wie will man die malen? Oder soll etwa eine verschrumpelte Rosine auf mein Wappen? Ich glaube, das ist keine gute Idee. 

Aber wenn du jetzt wieder aus der Kapelle rausgehst, dann wirst du an vielen Stellen auf dem Gelände noch andere Wappen von ehemaligen Bewohnerinnen von Heiligengrabe finden. Vielleicht kannst du ja die Bilderrätsel auf ihnen lösen und die Namen der Personen herausfinden?

Abbildung 1 © Giebert Rode
Abbildung 2 © Roloff Langkabel
Abbildung 3 © Roloff Langkabel
Abbildung 4 © Klosterstift zum Heiligengrabe