Station: [803] Vom Flachs zum Leinen


F: Für uns heute ist es kaum vorstellbar, wie viel Zeit und Mühe die Menschen früherer Generationen aufwenden mussten, um ihre Kleidung herzustellen. Die Bandbreite der Garne und Stoffe war relativ gering: Im Sommer trug man das kühlende Leinen, im Winter Schafwolle. Und beides wurde vom Rohmaterial bis zum fertigen Kleidungsstück zu Hause und von Hand verarbeitet.

M: Früh im Jahr wurde der Flachs gesät. Anfang Juni blühte er wunderschön in hellblauen Blüten. Doch genau 100 Tage nach der Aussaat riss man die Pflanze mit der Wurzel aus, legte sie zum Trocknen auf das Feld, band sie zu Garben und trocknete sie im Stehen weiter.

F: Die Samenkapseln löste man von den Stängeln, indem man sie über einen groben, eisernen Kamm zog. Um die Stängel mürbe und brüchig zu bekommen, legte man sie wieder auf dem Feld aus und trocknete sie schließlich. Nun konnte man daran gehen, die Fasern aus dem holzigen Stängel herauszulösen. Zunächst wurden sie in kurzen Abständen gebrochen, indem man sie bündelweise quer über eine Brechbank – die Brake – legte und den Hebel herabdrückte. Die holzigen Anteile des Stängels lösten sich von den Fasern und fielen heraus.

Anschließend wurden die Faserbündel durch feinere Kämme – die sogenannten Hecheln – gezogen und durchgebürstet. Mit jedem Arbeitsgang verfeinerten sich die Fasern und waren schließlich zart und weich. Dann begann der Prozess der Weiterverarbeitung. Hier galt die Faustregel: je länger die Faser desto wertvoller das Garn.

M: Das „Werg“ beispielsweise war kurzfaserig und minderwertig. Aus ihm wurden Dochte oder Seile hergestellt oder man verwendete es für das Putzen und Ölen von Maschinen oder als Dichtungsmaterial im Schiffbau. Die schönen, langen Fasern wurden in Heimarbeit zu Garnen gesponnen – eine zeitraubende Beschäftigung, die die Frauen den ganzen Winter über beschäftigte.

F: Das gesponnene Garn kam schließlich auf den Webstuhl, um dort zu einem Leintuch verarbeitet und auf der Bleichwiese gebleicht zu werden. Das Tuch konnte dann im Blaudruckverfahren eingefärbt werden, bevor man Hemden, Schürzen, Jacken oder auch Bettwäsche daraus nähte.

Fotos: © Tanja Heinemann