Station: [1] Geschichte des Tuches


Die wundersame Geschichte des Großen Zittauer Fastentuches gleicht in mancherlei Hinsicht einer Odyssee. 1472 von dem Zittauer Kaufmann Jakob Gürtler für Sankt Johannis, die Hauptkirche seiner Stadt, gestiftet, übersteht es die 50 Jahre später einsetzende Reformation schadlos. Während anderswo in Deutschland der Bildersturm tobt und Martin Luther auch die Hungertücher als päpstisches Gaukelwerk aus den Kirchen verbannt wissen will, zeigt das riesige Velum bis 1672 in Zittau die Fastenzeit an. Es ist unbekannt, wer das Fastentuch, wahrscheinlich lange vor dem Brand, in das Gebäude der ehemaligen Ratsbibliothek gebracht hat. Als man es 1840 beinahe zufällig findet, ist das zumindest in den gebildeten Kreisen des Königreich Sachsen eine Sensation. Kein geringerer als König Johann von Sachsen erbittet die Zittauer Bilderbibel als Leihgabe für das Museum des Königlichen Sächsischen Altertumsvereins in Dresden. 34 Jahre lang gehört es dort zu den ganz besonderen Sehenswürdigkeiten. Es war zu befürchten, dass auch die südliche Oberlausitz Kampfgebiet werden würde. Vorsorglich brachten sie ihr kostbarstes Exponat in einen bombensicheren Keller auf der nahgelegenen Burg Oybin. Sowjetische Soldaten fanden das große Tuch, zerrissen es und verwendeten die Stoffteile als Dampfsperre für eine provisorisch im Wald errichtete Sauna. Sie ließen es einfach im Wald liegen, als sie weiterzogen. Ein alter Mann fand das Tuch wenig später beim Holzsammeln. Dass er es unverzüglich nach Zittau zurückbrachte, darf man wohl auch als eine glückliche Fügung werten. Der Direktor ließ die einzelnen Stoffteile in den 1990er Jahren nach einem alten Foto auslegen und das Schadensbild dokumentieren. Die Tortur von 1945 hatte das Fastentuch nicht nur zerrissen, sondern auch die mittleren Bilder fast bis zur Unkenntlichkeit ausgebleicht. Es folgte eine engagierte Suche nach Restaurierungsmöglichkeiten, die schließlich zur Abegg-Stiftung in Riggisberg bei Bern führte. Angesichts seiner historischen Bedeutung entschloss sich der Stiftungsrat das Große Zittauer Fastentuch unentgeltlich zu restaurieren. In Riggisberg, Köln und Zittau, in Europa weit beachteten Sonderausstellungen gezeigt, ist es seit 1999 hier im Museum Kirche zum Heiligen Kreuz dauerhaft in der größten Museumsvitrine der Welt präsentiert.