Station: [6] Vitrine vom Ton zum Holz


Josef:

Ach, schau mal hier! Diese Figur, die kenn ich doch! An der habe ich doch mitgearbeitet! Dass die jetzt in einem Museum steht… echt seltsam… war doch eigentlich nur ein Modell… Also, ich erzähl dir, worum es geht: So ein Altar, der besteht ja aus ganz vielen Figuren – da sind Jesus und die Jünger und auch die Mutter Maria und die Heiligen und so weiter, und so weiter.

Und jede Figur auf jedem Altar wird einzeln hergestellt, von Hand geschnitzt. Aber ein Jesus soll immer wie ein Jesus aussehen und eine Maria immer wie eine Maria, man soll sie ja wiedererkennen. Dafür brauchen wir Muster, also Vorlagen, Modelle. Die stehen bei uns in der Werkstatt auf langen Regalbrettern herum, die ganzen Wände sind voll. Und das hier ist auch so eine Figur. Sie zeigt glaube ich… warte mal…

Augustinus:

Sie zeigt mich, den Heiligen Augustinus!

Josef:

Augustinus, genau! Sie sind der Heilige Augustinus.

Augustinus:

Ganz genau! Das erkennst du an der Bischofsmütze, denn ich war Bischof in einer Stadt in Afrika namens Hippo.

Josef:

Ja genau! Sie haben gelebt… warten Sie mal… irgendwann… nach den Römern? aber vor dem Mittelalter?…

Augustinus:

In der Spätantike. So ist es, mein Junge. Und weil ich mehrere dicke Bücher geschrieben habe, erkennt man mich an dem Buch in meiner linken Hand. Und weil ich Gott in Liebe zugetan bin, trage ich in der anderen Hand ein brennendes Herz. So hat mich der Künstler aufgezeichnet…

Josef:

Der Chef, genau! Und dann hat er – also der Chef – ein paar Drähte genommen und verbogen und darüber mit Ton Ihre Büste modelliert. Zuerst erkennt man nicht viel, aber irgendwann sehen all die kleinen Tonklumpen dann aus wie Sie… also wie die Zeichnung. Und so sollen Sie später als Holzfigur ja auch aussehen.

Augustinus:

Genau! Aber so ein Tonmodell ist nicht gut haltbar. Irgendwann würde der Ton einschrumpfen und Risse bekommen. Hier unten an meinem Sockel, da sieht man sogar schon welche.

Josef:

Da weiß ich die Lösung! Man nimmt das Tonmodell, und legt vorsichtig eine dicke Schicht Gips darüber. Das nennt man: Negativmodell. Man trennt es ganz sorgfältig in zwei Teile, die haben genau die Form, die später die Figur haben soll.

Ist Ihnen auch aufgefallen, Herr Augustinus, dass Sie in der Form aussehen, als ob Sie weinen, weil alles so verzerrt ist?

Jedenfalls, diese beiden Teile streicht man nun mit roter Farbe – mit „Englisch Rot“ – aus. So weiß man nachher, wo die Figur aufhört… bzw. anfängt. Und dann legt man diese beiden Teile zusammen und füllt sie mit Gips. Dann wartet man, bis der Gips getrocknet ist… und dann wird’s spannend: Ganz, ganz vorsichtig klopft man die Negativform ab, macht sie also kaputt. Aber nur bis zu der roten Trennschicht.

Augustinus:

Genau! Ganz vorsichtig! Denn alles, was hinter der roten Trennschicht liegt… das bin ja schon ich! Aber man sieht ja gut, wie vorsichtig du das gemacht hast, mein Junge. Ganz sorgfältig. Und langsam schäle ich mich aus der Form heraus…

Josef:

Also Sie als Gipsmodell! In Gips sehen Sie genauso aus wie in Ton… nur: Sie sind haltbarer!

… und können ab jetzt aufbewahrt und immer wieder als Vorbild für eine Holzfigur benutzt werden! Und damit man Sie größer und kleiner darstellen kann, bekommen Sie an vielen Punkten im Körper kleine Nägel eingeschlagen.

Augustinus:

So genannte „Punktiernägel“.

Josef:

Mit deren Hilfe kann man später den Herrn Augustinus mal vergrößern oder mal verkleinern. Je nachdem wie groß die Holzfigur werden soll. Denn der Punktiernagel im Fuß und der Punktiernagel im Knie haben immer das gleiche Verhältnis zueinander, wenn wir alles richtig machen. Und dann wird’s richtig spannend: Dann nimmt man einen Block Holz und schlägt so viel Holz ab, dass man die Konturen erkennt. Und da muss man auch ganz vorsichtig sein und mit immer kleineren Werkzeugen immer vorsichtiger das Holz wegnehmen. Aber wehe, wenn man zu viel wegnimmt! Wenn man dem Herrn Augustinus zum Beispiel den Teil des Holzes wegschlägt, der später seine Nase werden soll. Dann ist die ganze Figur kaputt. Und ich kann dir sagen: Das ist der Albtraum eines jeden Lehrlings! Die Chefs sind dann ärgerlich, dass man einen schönen Holzblock verschwendet hat und die Gesellen lachen einen aus. Und dann darf man eine Woche lang wieder nur die Späne zusammenfegen…

Augustinus:

Aber schau, du hast ja alles richtig gemacht und das Holz ganz vorsichtig bearbeitet. Und dann…

Josef:

… ja, dann kommt nachher eine wunderschöne Figur heraus. So wie Sie jetzt aussehen, Herr Augustinus. Also, eigentlich sehen Sie aus wie die ganze Zeit schon. Nur jetzt sind Sie in schönem Holz geschnitzt und könnten eigentlich direkt auf einen Altar draufmontiert werden, wie Sie da so freundlich und verträumt in die Ferne blicken und über Gott und die Welt nachdenken.

Augustinus:

Ja, Gott und die Welt. Das waren tatsächlich die wichtigsten Themen in meinem Leben. Ich freue mich, dass es so kleine Handwerker wie dich gibt, mein Freund Josef. Denn dank dir leben wir in den Köpfen der Menschen nach, weil Künstler wie du uns immer wieder zum Leben erwecken.

Josef:

Ach, keine Ursache, Herr Augustinus. Das ist ja unser Beruf.

 

Alle Abbildungen : Torsten Nienaber, © Wiedenbrücker Schule Museum