Station: [10] Anselm Kiefer


In diesem Kellerraum war früher das Vieh untergebracht; weiter unten geht es zu den alten Vorratskammern. Den Künstler Anselm Kiefer haben die historischen Räume so inspiriert, dass er hier seine Installation Johannis-Nacht errichtet hat.

Kiefers vierteiliges Kunstwerk steckt voller Bezüge zu alten Mythologien, Religion und Volksglauben. Wenn sie mehr über die Hintergründe erfahren möchten, gibt es im kleinen Anbau links neben dem Kellereingang weitere Informationen auf den Texttafeln.

Eine Geschichte aus der griechischen Mythologie behandelt der erste Raum. Es geht um den Königssohn Jason, den Anführer der Argonauten und um seinen heldenhaften Kampf um das goldene Vlies. Wir schauen auf eine Miniaturwelt aus der Vogelperspektive: Unter uns erstreckt sich eine verdörrte Landschaft, auf der ein Flugzeug aus Blei gelandet ist.

Auf dem linken Flügel steht „Jason“. Menschliche Zähne sind über dem Boden verteilt, aus ihnen erwachsen kleine Soldaten. Auch das ist ein Bezug auf den alten griechischen Mythos. Kleine weiße Kleider folgen dem Flugzeug wie Totenhemden. Der Blick von oben auf die Miniaturlandschaft erscheint wie ein verdichteter Rückblick in die Geschichte. In seinen Arbeiten blickt Anselm Kiefer in die Vergangenheit, um die Gegenwart zu ergründen. Existentielle Fragen und Gegensätze wie Leben und Tod, Sieg und Niederlage leiten ihn.

Auch im nächsten Raum überkommt uns eine düstere Stimmung. Ein einfaches Holzgatter ist mit Kleidern versehen. Auf dem Bild hinter dem Gatter sind ebenfalls Kleider eingearbeitet. Die weißen Kleider verweisen auf Lilith, die erste Frau Adams. Es ist die Geschichte aus dem Alten Testament. Hier widersetzt sich Lilith dem göttlichen Befehl und verlässt Adam. Dafür wird sie schrecklich bestraft: Lilith verwandelt sich in ein monströses Wesen, das Männer verführt und Dämonen gebiert. Die ungehorsame Lilith gilt im Feminismus häufig als Vorbild für eine Frau, die sich männlichen Autoritäten widersetzt.

Die Farnpflanzen im dritten Raum erinnern an die Johannisnacht, die Mittsommernacht. Nach altem Volksglauben soll der Farn in der Johannisnacht kurz erblühen und magische Kräfte entwickeln. Diese Kräfte können Heil und Unheil bringen.

Auch die Schlange am Boden, als Verkörperung des Teufels, verweist auf die dunklen Mächte der Johannisnacht. Die Malerpalette erinnert an die heilende Kraft der Kunst, doch hier ist sie zerbrochen.

Im vierten Raum rinnt ein Fluss aus Blei das Mauerwerk hinunter. Kiefer hat das Metall selbst erhitzt und durch die Deckenluke ins Gewölbe gegossen. Immer wieder verwendet Kiefer Blei in seinen Arbeiten. In der Lehre der Alchimie wird dem Metall eine große Nähe zu Gold nachgesagt, dem reinsten aller Stoffe.

Die Lichtreflexion auf Kiefers Bleifluss birgt einen sakralen Moment. Das Blei steht hier für den göttlichen Lichtstrahl. In der kabbalistischen Vorstellung entsendet Gott im Schöpfungsakt den Lichtstrahl in einen dunklen Raum und erschafft damit die Welt.

In den Kellergewölben der Johannisnacht erzählt Kiefer mit einfachen Materialien Mythen der Vergangenheit und schlägt damit die Brücke zu den großen Themen der Gegenwart unserer Welt. Die Installation ist 1990 entstanden, als Anselm Kiefer mit dem goldenen Kaiserring geehrt wurde.

 

Alle Fotos: © Uwe Walter, Berlin