Station: [4] Hungermorde


F: „Täglich nur eine halbe Scheibe Brot und dann auch nur eine ganz dünne.“ So beschreibt eine Patientin die Versorgungslage in der Heilanstalt Wehnen. Systematisch wurden die Sparmaßnahmen vorangetrieben, die Kosten für die Pflege immer weiter gedrückt. Der Tod von Patientinnen und Patienten wurde dabei billigend in Kauf genommen – ja, er war geradezu erwünscht.

M: Vor allem arbeitsunfähige Männer und Frauen galten als „Ballast-Existenzen“ und wurden ausgehungert. Zwischen 1936 und 1947 starben in der Heilanstalt Wehnen mehr als 1.500 Menschen an den Folgen dieser gezielten Unterernährung.

F: Die rechtliche Grundlage für diese Hungermorde wurde mit dem oldenburgischen „Gesetz zur Vereinfachung und Verbilligung der öffentlichen Verwaltung“ geschaffen. Es trat im Mai 1933 in Kraft. Ein Jahr zuvor lagen die Kostsätze noch bei 70 Reichspfennigen. Bis 1945 sanken sie jedoch auf nur 24 Reichspfennige. Am Ende der NS-Zeit starben infolge dieser gezielten Kürzungen 31 Prozent der Patienten. Organisiert und geplant wurden die Hungermorde ausgerechnet von der „Fürsorgeabteilung“ der oldenburgischen Staatsregierung. Im Oktober 1942 schrieb Heinrich Siems, der Verwaltungsleiters der Heilanstalt Wehnen, an die Kreisbauernschaft Ammerland:

M: „Von hier wird bestimmt alles getan, was im Interesse der Sicherstellung der Ernährung des deutschen Volkes getan werden kann. Wie Ihnen bekannt ist, stehen den Patienten nach Bestimmungen über die Lebensmittelverteilung jene Mengen zu, die an die Normalverbraucher ausgegeben werden. Ich habe aber freiwillig auf einen erheblichen Teil der zustehenden Mengen verzichtet und dadurch sehr große Einsparungen erzielt, die der übrigen Volksgemeinschaft zugutekommen. Viele 1.000 Kilogramm Fleisch; Fette, Butter, Zucker sowie viele 10.000 Stück Eier habe ich weniger verbraucht, als ich dies nach den Bestimmungen hätte tun dürfen.“

F: Zu der gezielten Unterernährung kam die Überlegung der Heilanstalt hinzu – und damit einhergehend auch katastrophale hygienische Zustände. Infektionen und Krankheiten griffen um sich. In einem Zeitungsartikel nach dem Krieg heißt es:

M: „Der Zustand der Häuser und ihrer Einrichtung ist so katastrophal, daß man bezweifeln muß, daß es sich hier um einen Krankenhausbetrieb handelt. Alles ist verwahrlost, vom Dach bis zum Keller (…). (…) Wer ein einziges Mal Gelegenheit hatte, Einblick in die tatsächlichen Verhältnisse in Wehnen zu bekommen, den packt das Grauen.“

F: Das aus den Hungermorden erwirtschaftete Kapital wurde zum Aufbau einer regionalen Energiewirtschaft verwendet. Sowie zur Finanzierung völkischer Kultur und zur Förderung der Landwirtschaft.

Fotos: © Gedenkkreis Wehnen e.V.