Station: [118] Neue Straße 29: De lütt Aksesser


M: Anna Liebmann, „de lütt Akzesser“ aus Fritz Reuters „Stromtid“, hatte einen starken Charakter und ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl. Wenn jemand unter den Verleumdungen des städtischen Klatsches zu leiden hatte, trat sie beherzt für die geschmähte Person ein – schon als Kind.

F: Anna Liebmann wohnte mit ihrem Vater in diesem Haus. Doktor Michael Liebmann war ein Schulkamerad von Fritz Reuter gewesen. Er hatte Medizin studiert und führte von 1841 bis 1874 seine Praxis hier in der Neuen Straße. In der „Stromtid“ trägt er den Namen „Doktor med. So und So.“ Reuter charakterisiert ihn folgendermaßen:

M (Zitat): „Der Vater der kleinen Anna war Arzt, aber er hatte keine besonderen Amtstitel. Er hatte etwas Besseres aufzuweisen: ein Herz für die Armen.“

F: Als Reuter im Jahr 1867 den mit 100 Dukaten dotierten Tiedgepreis erhielt, sandte er 250 Taler davon nach Stavenhagen für das geplante Krankenhaus. Er schickte das Geld am 24. März 1867 an Dr. Liebmann und begleitete es mit den Zeilen:

M (Zitat): „Weil ich seit langen, langen Jahren Dein treues, ehrenvolles Wirken in Deinem Berufe und Deine Liebe und Freundschaft für mich kenne, sende ich diese Gabe an Dich. – Dir, dem Juden, der in trübster Zeit, in Not und Tod zu mir gestanden hat, verdanke ich viel mehr als manchem durch seinen Glauben aufgeputzten Christenmenschen“.

F: Kein Wunder also, dass auch Liebmanns kleine Tochter Partei für die Unterdrückten ergriff! In Reuters „Stromtid“ taucht sie als „de lütt Akzesser“ auf – als „der kleine Assessor“: Diese im Volksmund als „Volljurist“ bekannte Berufsbezeichnung befähigt zur Ausübung juristischer Ämter. Ein würdiger Titel für die kleine Anna, die sich als Anwältin der Armen und Schwachen und als Anklägerin der Stavenhagener Klatschbasen und Schandmäuler verstand!

Foto: © Fritz-Reuter-Literaturmuseum