Herbst 1902. Zwei Männer unterwegs. Hermann Daur (32) aus Stetten bei Lörrach und Ernst Schultz aus Lörrach (41) laufen auf einem frisch gepflügten Acker herum. Hermann Daur hat gerade sein Kunststudium in Karlsruhe beendet; er wird sich 1906 als freischaffender Künstler niederlassen. Ernst Schultz erwartet eine Zukunft als Sparkassen-Direktor, Vorsitzender der "Badischen Heimat". Beide Herren werden in späteren Jahren Museums-Profis: Schultz in Lörrach (heute: Dreiländermuseum) und Daur in Kandern (heute: Heimat- und Keramikmuseum).
Jetzt, wie gesagt, auf einem frisch gepflügten Acker. Bruchstücke von Ziegeln sollen dort gelegen haben. Aufgesammelt werden diese nicht. Aber anderes. Das Bruchstück von einer sog. Fibel (von lateinisch fibula) - eine Art Sicherheitsnadel (nur schöner). Reste der Nadel dazu. Die Nadel einer zweiten Fibel. Eine Pinzette. Eine gerippte Perle.
Zeitsprung. 1937 sollen diese Dinge im Lörracher Museum ausgestellt werden. Der Museums-Präparator wird stutzig, meldet die Funde dem Heimatpfleger. Der Heimatpfleger wird hellhörig, und macht mit Schultz einen Ortstermin (Daur ist bereits 1925 verstorben). Der Fund-Acker wird ausfindig gemacht, ein Fundbericht verfasst, die Stücke gezeichnet. Der Bericht kommt zu den Akten.
Zeitsprung. Der gleiche Acker, in den Jahren 2006 bis 2010. Immer mal wieder läuft jemand über die frisch gepflügte Erde, und immer wieder werden Funde gemacht. Hier interessieren uns nur Scherben von frei geformten Gefäßen aus der sog. Völkerwanderungszeit: dem 4./5. Jahrhundert nach Christus. Das ist genau die Zeit, aus der auch die Funde von 1902 stammen.
Der Schmuck von 1902 ist weit gereist. Unsere Fibel ist zwar unvollständig erhalten, aber eindeutig eine "Stützarmfibel mit Trapezfuß". Und die gibt es im Elb-Weserdreieck, sie werden von den Damen zwischen Stade und Cuxhaven auf der Brust getragen. Dazu dort zwei weitere, meist runde Fibeln auf den Schultern - diese stecken einen Stoffschlauch zusammen, machen aus dem Schlauch ein Kleid. Neuester Mode-Hype um 400 bzw. im frühen 5. Jahrhundert.
Zeitsprung. 2021. Auweia: H. Daur, Kunstmaler - war ein Raubgräber! Die Schreckensmeldung stammt aus dem Badischen Landesmuseum Karlsruhe. Dorthin waren 2019 zwei wunderschöne Tongefäße aus einer Privatsammlung gelangt. Zumindest eines ausgegraben von Kunstmaler H. Daur im Oktober 1909. Gefäße aus dem späten 4./5. Jh., vom Gräberfeld am Grafenberg in Westerwanna bei Cuxhaven!
Ausgrabungen (bzw. Buddeleien) von Nicht-Archäologen, von Privat-Personen. 1909 nicht ungewöhnlich. Pfarrer Julius Schmidt macht es in Kirchen (die Funde dieser Grabungen gehen in das Badische Landesmuseum). Die Mitglieder des Heimatbundes "Männer vom Morgenstern" machen es im Elb-Weser-Dreieck (die Funde bilden den Grundstock des Morgenstern-Museums in Bremerhaven). Verschiedene Mitglieder der Karlsruher Kunstakademie buddeln ebenfalls, z.B. in Altenwalde (Kr. Cuxhaven). Seit 1895 hat die Akademie in der Nähe, erst in Duhnen und dann in Altenwalde, eine Malerkolonie. Auch Daur ist hier regelmäßig anzutreffen, und hier - im Norden - lernt er auch seinen spätere Frau Margarethe Boldt kennen.
Laut Badischem Landesmuseum sollen ´unsere´ Funde - aufgelesen 1902 von Ernst Schultz UND Hermann Daur gemeinsam - aus einem der beiden 1909 in Norddeutschland entdeckten Gefäße stammen, und mit der Eisenbahn in den Süden geschuckelt sein. Der Bericht in den Akten, die Neufunde zeitgleicher Keramik vom gleichen Fundplatz - vom BLM schlicht ignoriert.
´Unsere´ norddeutsche Fibel ist nicht die einzige ihrer Art. Aus der Region zwischen Niederrhein und Elbe, stammt eine weitere Fibel des späten 4. / frühen 5. Jahrhunderts. Gefunden 2018 in der Muttenzer Hard (BL). Fast mittig zwischen zwei spätantiken Wachtürmen, nur ca. 250 m entfernt von der vermuteten Überlandstrasse Basilia - Castrum Rauracense entfernt.
(Text: Museum in der ´Alten Schule´ / Dr. Maren Siegmann / 2025)