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[2142] Kirchen Bergrain - Urnengräber der Bronzezeit

Bergrain, archäologisch
Karte: Die archäologischen Funde auf dem Bergrain, 1909-1911 und 1941. Grün: spätbronzezeitliche Urnengräber. Rot: römische Mauern und Fundhäufung. Gelb und hellblau: frühmittelalterlicher Topf, Gräber, Graben, Mauer. Dunkelblau: mittelalterliche Mauern, Gräber, Grubenhäuser (ab 9. Jh.). Rot-Blau gepunktet: Schachtbrunnen, undatiert. Montage der Fundkarten von Julius Schmidt (Kirchen am Rhein, Bühl 1912, Beilage) und Friedrich Kuhn (Badische Fundberichte 17, 1941, S. 322). Montage: Maren Siegmann.
Urnengrab 3 - vorher
Schmidt war ein guter Beobachter: im Ton der Urne haben sich zwei Fruchtkern-Abdrücke erhalten, wohl von wilden Kirschen. Foto: Julius Schmidt, Kirchen am Rhein (Bühl 1912), S. 11.
Urnengrab 3 - hinterher
Foto: Julius Schmidt, Kirchen am Rhein (Bühl 1912), S. 12.
Nadel aus U3
Damit sie in die Urne passt? Um sie (rituell) unbrauchbar zu machen? Beide Nadeln kamen verbogen in U3. Deutlich zu erkennen sind die unterschiedlichen Bronzelegierungen von Kopf und Schaft der Nadel. Die silberfarbene Bronze des Kopfes wurde um einen Tonkern herum gegossen. Foto: Museum in der "Alten Schule" / Maren Siegmann.
U3 - Nadeln, Armreife, Messer
Nachbildung der Metallbeigaben aus Urnengrab 3: noricum replikate / Stefan Jaroschinski. Foto: Museum in der "Alten Schule" / Maren Siegmann.
U3 - Keramik im Aufbau
Nachbildung: Goldgrubenkeramik / Bettina Kocak, Frankfurt/Main. Foto: Bettina Kocak.
U3 - Keramik rekonstruiert
Nachbildung der Urne aus Urnengrab 3: Goldgrubenkeramik / Bettina Kocak, Frankfurt/Main. Foto: Museum in der "Alten Schule" / Maren Siegmann.
Urnengrab 7 - Original
Foto: Julius Schmidt, Kirchen am Rhein (Bühl 1912), S. 14.
U7 - Nachbildung
Nachbildung der Gefäße aus Urnengrab 7: Goldgrubenkeramik / Bettina Kocak, Frankfurt/Main. Foto: Museum in der "Alten Schule" / Maren Siegmann.
Scherben vom Kapfrain
1928 fand sich auf dem Kapfrain ein weiteres Urnengrab. Hier nutzte man stabile Vorratsgefäße für den Leichenbrand. Der Fundzettel dabei stammt aus dem Rheinmuseum Istein; die Sammlung dieses Museums wurde 1933 von den Nationalsozialisten enteignet und 1937 aufgelöst und in alle Winde verstreut. Foto: Museum in der "Alten Schule" / Maren Siegmann.
Nachbildungen ausgestellt ...
Blick in die Sonderausstellung "Rhein spaziert" 2022/23. Vorne rechts ein Rekonstruktionsversuch eines Sierentzer Colliers. Nachbildung Collier: Maren Siegmann. Foto: Museum in der "Alten Schule" / Maren Siegmann.

Beschreibung

"Herr Pfarrer Schmidt hat mir gesagt, ihm sei es einerlei, wo die Urnen hinkommen."

Julius Schmidt, Pfarrer in Kirchen, wurde kurz nach 1900 eher zufällig der ´Dorf-Archäologe´. Eigentlich war Schmidt auf der Suche nach der karolingischen ´Pfalz´ von Kirchen. Pfalz in Anführungszeichen - Pfalz wäre lateinisch palatium, die Quellen sprechen aber alle von einer curtis, einem Hof. Wie im richtigen Leben: Schmidt findet alles mögliche. Römische Gebäude. Urnenfelderzeitliche Brandgräber, pi-mal-daumen 1200-1000 vor Christus. Was Schmidt nicht findet, ist die Pfalz.


Urnen im Kies

Der Eingangssatz stammt aus einem Schreiben von Eugen Fischer (Freiburg) an Ernst Wagner vom 02.07.1910. Wagner ist Direktor der Altertumssammlung in Karlsruhe. Fischer ist Anthropologe und schon vor 1910 ein Vordenker und Wegbereiter der Eugenik und der nationalsozialistischen Rassentheorie. Jetzt jedenfalls sucht Fischer ein neues Zuhause für besagte Brandgräber. Schmidt / das Dorf Kirchen will sie nicht. In der Folge kommt das reichste Grabinventar nach Freiburg, und die restlichen Funde nach Karlsruhe.

Die meisten Urnen waren nicht schwer zu finden - sie steckten in der Hangkante des Bergrain. Oder kurz dahinter. Wie groß dieser Friedhof ursprünglich war, wird sich nicht mehr klären lassen - nach den ersten Fundbergungen erreichen Schmidt zahlreiche Nachrichten über früher schon gemachte Funde. Die Dörfler hatten diese fortgeworfen. Karl Huck, Arzt (und einer der Gründungsväter des Archäologischen Hegau-Museums in Singen) hatte als Schüler in Kirchen ebenfalls gesammelt - Gefäßfragmente und Menschenknochen. Letzteres zum Unwillen des Kirchener Orts-Gendarmen: Huck musste die Knochen abgeben, man hat diese auf dem Kirchener Friedhof wieder-bestattet.

Ein großes Gefäß, darin die Reste der/des verbrannten Leichnams. Dazu Becher, Schalen, Näpfe, Beigefäße. Manchmal auch Schmuck, und/oder ein Messer. Das ganze kam als Scherbenpaket daher - zumindest der obere Teil des umgebenden Gefäßes war völlig zerdrückt, auch die Beigefäße in Bruchstücken. Nicht alles konnte in Karlsruhe / Freiburg wieder hergestellt werden.

Und, leider, nein, niemand hat sich um die Verstorbenen selbst gekümmert. Heutzutage können Spezialisten auch aus Leichbränden Geschlecht, Alter, mit Glück auch Krankheiten oder biographische Besonderheiten herauslesen. Um 1900 war dies keine Option. Um 1900 war der Topf und die anderen Funde wichtig, nicht die Knochen. Heute weiß man: in vielen Fällen haben die Bestattenden den Leichenbrand sehr sorgfältig in die Urne hineingebettet. Ganz nach unten die Fußknochen, dann die Beinknochen (Schienbeine, Oberschenkel), dann Becken, Wirbelsäule, Rippen und die Bruckstücke des Schädels als letztes ganz oben auf.

 

Besonders reich ausgestattet war Grab U3. Die Urne sehr groß, strenges schlichtes und dabei sehr wirkungsvolles Design. Dazu zwei Schälchen und zwei Becher. Sechs Armreife aus Bronze. Ein elegant geschwungenes Bronzemesser. Zwei Nadeln. Nadeln dienten als Kleidungsverschlüsse - zum Zusammenstecken eines Umschlagtuches auf der Brust, zum Beispiel. Die Nadeln aus U3 sind speziell. Sie haben große runde Köpfe, und diese bestehen aus einer speziellen, silberfarbenen Bronze. Die Farb- bzw. Materialunterschiede zwischen Nadelkopf und Nadelschaft hat schon Pfarrer Schmidt bemerkt und beschrieben. Silber als Material war faktisch noch nicht erfunden - ´unsere´ Nadeln müssen der absolute Hingucker gewesen sein. Wie/wo mann/frau aus U3 ihre/seine Nadeln getragen hat? Wissen wir nicht. Aber: die Nachbildungen der Nadeln funktionieren gut und sind angenehm zu tragen. Sie sind schwer, also eher etwas für stabilere Stoffe, und die Schäfte sind relativ dick, also für elastische Gewebe aus nicht allzu feinem Garn. Für Wollstoffe, wie sie andernorts archäologisch nachgewiesen sind, ideal.


Die umgebende Urne von Grab U7 war nicht mehr zusammen-kleb-bar. Die kleinen Beigefäße darin jedoch schon. Hinterherzuforschen ist noch hinter "vielleicht der Rest einer Perle". Bernstein? Gagat, Lignit, Ölschiefer oder ein anderes für Perlen beliebtes, dunkel-schwarz-bräunliches Material? Oder gar Glas? Unsere Gräber stammen aus dem 12. oder 11. Jahrhundert vor Christus - Glasperlen sind rar, kostbar, blau. Manchmal (schon) in Europa (Norditalien) gefertigt, manchmal (noch) Import aus Vorderasien oder Ägypten.


Auch auf dem Kapfrain und in Efringen (zwischen Walser´s und ´Alter Schule´) fanden sich vereinzelt vergleichbare Gräber, ebenso in Lörrach. Älter sind Grabfunde aus Binzen und Haltingen, jünger Grabfunde aus Rheinweiler. Aber: alle diese Gräber sind Altfunde, wurden im 19. oder frühen 20. Jahrhundert aufgedeckt, und keines stammt aus einer ´richtigen´ archäologischen Ausgrabung. Diese Gräber können wenig aussagen zu den Menschen, die hier bestattet wurden, ihr Leben und ihre Umwelt.

Anders das Gräberfeld von ZAC Hoell Zone 2 bei Sierentz, andere Rheinseite. Großes Gräberfeld, archäologische Ausgrabung 2006/2007, fast 40 Gräber, alle anthropologisch untersucht. Gleich mehrere Gräber mit Glasperlen, Goldröhrchen, Bernstein. Da hüpft des Archäologen Herz ... Erfreulicherweise steht seit Anfang Juni 2025 der Grabungsbericht online.

 

Die Landschaft unterhalb des Schwarzwaldes und unterhalb der Vogesen. Eine Siedlungskammer, vom Rhein durchschnitten, vom Rhein verbunden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Leute aus Binzen, Haltingen, Rheinweiler, Efringen, Kirchen und Sierentz miteinander verwandt waren, versippt, verschwägert.

 

(Text: Museum in der ´Alten Schule´ / Dr. Maren Siegmann / 2025)