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[2143] Kirchen Bergrain - römische Gutshöfe

Die römischen Gebäude I, II, III
Karte: Die archäologischen Funde auf dem Bergrain, 1909-1911 und 1941. Grün: spätbronzezeitliche Urnengräber. Rot: römische Mauern und Fundhäufung. Gelb und hellblau: frühmittelalterlicher Topf, Gräber, Graben, Mauer. Dunkelblau: mittelalterliche Mauern, Gräber, Grubenhäuser (ab 9. Jh.). Rot-Blau gepunktet: Schachtbrunnen, undatiert. Montage der Fundkarten von Julius Schmidt (Kirchen am Rhein, Bühl 1912, Beilage) und Friedrich Kuhn (Badische Fundberichte 17, 1941, S. 322). Montage: Maren Siegmann.
Mauerreste von Gebäude I
Foto: Julius Schmidt, Kirchen am Rhein (Bühl 1912), Beilage.
Römische Keramik - Terra Sigillata
Foto: Julius Schmidt, Kirchen am Rhein (Bühl 1912), Beilage.
Römische Keramik - Auswahl
Foto: Julius Schmidt, Kirchen am Rhein (Bühl 1912), Beilage.
Pfeilspitze, 7. Jh.
Zeichnung: Julius Schmidt, Kirchen am Rhein (Bühl 1912), Beilage.
Gebäude II, Mauer mit Grabungsschnitt
Typischer Grabungsschnitt von Pfarrer Schmidt: schmal und an der Mauer entlang. Foto: Julius Schmidt, Kirchen am Rhein (Bühl 1912), Beilage.
Gebäude II, Mauerecke
Foto: Julius Schmidt, Kirchen am Rhein (Bühl 1912), Beilage.

Beschreibung

Julius Schmidt, Pfarrer in Kirchen, hat 1909 bis 1911 die Mauern von drei Gebäuden aufgefunden. Okay, nicht wirklich Mauern, sondern nur wenige Steinlagen, ganz unten, die Fundamente. Das Innere der Gebäude konnte er nicht so untersuchen, wie er es gerne gewollt hätte - Gebäude I war schon zur Hälfte abgerutscht, wertvolle Bäume mussten geschont werden.

Über Gebäude III diskutieren die Archäologen nicht - alle halten es für römisch. 
Gebäude I hielt Schmidt in seinem ersten Fundbericht für unzweifelhaft römisch. Später für karolingisch: man habe einfach karolingische Mauern auf römische Fundamente aufgemauert. Ebenso Gebäude II, nahe an Gebäude I gelegen. 1941 gibt eine Nachuntersuchung von Gebäude II durch Heimatpfleger Friedrich Kuhn. Zwei schmale Suchgräben konnten nicht wirklich Klarheit bringen - eine gründliche Untersuchung sei notwendig, so fordert Kuhn im Abschlußbericht. Das ist seinerzeit leider nicht geschehen.

 

Gebäude III

Lassen wir zu Gebäude III Julius Schmidt berichten: "ehe wir auf die Mauern kamen, fanden wir im ausgehobenen Grunde so reichliche und unzweifelhaft römische Scherben ..." "... vom feinsten bis zum gröbsten Gefäß, dünnsten und dicksten Tons in den buntesten Farben herrührend, auch etliche Stücke terra sigillata, ebenso eine Menge verrosteter Nägel, kleinster und größter Güte, Kloben, auch 2 Bruchstücke einer Messerklinge u.s.W."

Das Haus lag zwischen Julius-Schmidt-Weg und Kapfrain und war nahezu quadratisch und 10 x 10 m groß. Die Funde verraten nichts über die Funktion des Hauses. Am wahrscheinlichsten ist, hier einen Gutsbetrieb, eine kleine villa rustica, zu vermuten.


Gebäude I

Dieses Gebäude stak in der Hangkante. Der Rest - ungefähr die Hälfte - war schon bergab gerutscht. Trotzdem spannend, was der Pfarrer fand (1908): "... neben einer nicht unbeträchtlichen Zahl verbrannter Eisenklumpen und -Stücke, auch eine Idee Bronce, während die mitgelagerten ziemlich zahlreichen Knochenreste ... Tierknochen wohl sind, wie Herr Professor Fischer meinte. Da das Gelände ganz zweifellos durch einen starken Brand s. Zt. zerstört worden ist, wie die ringsum an den Fundamentmauern centimeterhoch aufgeschichtete Asche, die feuergerösteten Stein- und Sandlagerung, auch ganze Stücke Holzkohle klar beweisen, konnten wesentliche Fundstücke weiter nicht erwartet werden." Unbedeutend nennt auch Baudenkmalpfleger Kircher die Fundstücke: "Nägel, Beschlagreste, Scherben von Gebrauchsgefäßen und dergleichen".

Das Gebäude war abgebrannt. Das gefundene Scherbenmaterial hat Prof. Ernst Wagner, Konservator der Altertumssammlung in Karlsruhe, als unzweifelhaft römisch bestimmt.

Frühmittelalterlich (7. Jh.?) dagegen zwei Pfeilspitzen. Eine gefunden beim Zuschaufeln der Grabungsschnitte. Die andere vielleicht aus dem Gebäudeinneren, vielleicht aus der Fundschicht. Vielleicht auch nicht, sondern aus dem durchmischten Pflughorizont: Schmidt macht hierzu keine Angaben. Für eine Datierung dieses Gebäudes in das Frühmittelalter taugen die Pfeilspitzen jedenfalls nicht.


Gebäude II

Gebäude II: römisch, frühmittelalterlich, karolingischer Königshof?
Lassen wir erst Pfarrer Schmidt zu Wort kommen (1909): "Abgesehen von einigen Scherben, Ziegelresten, die ich sammelte, wurden weitere Funde nicht gemacht." "Die Fundamente von Gebäude II dürften vielleicht römisch sein, da im Mörtel sich Ziegelstücke finden." "Gefunden wurde im aufgefüllten Grunde nichts wesentliches, abgesehen von Ziegelstücken, die man auf dem ganzen Bergrain stets findet, wenn man mit Hacke und Spaten arbeitet, ein paar Scherben wie bei I, auch ab und zu Kohlenreste, jedoch keine Aschenlagerung, geschwärzte Kieselsteine u. s. w. wie auf dem innern Boden von Gebäude I."

Dieses Gebäude war selbst also nicht abgebrannt. Wenig Funde. Ein paar Scherben (römisch). Ziegelstücke - das meint hier mit ziemlicher Sicherheit Leistenziegel, sehr charakteristisches römisches Dach-Deck-Material. Ziegel fanden sich lt. Schmidt eigentlich überall auf dem Bergrain. Für Kuhn 1941 dagegen ist das Fehlen von (Leisten)Ziegeln der Beweis, dass Gebäude II eben NICHT römisch sei. Im gleichen Bericht sagt Kuhn jedoch auch: "Anhaltspunkte, daß das Gebäude in karolingische Zeit anzusetzen ist, ergaben sich nicht." Schmidt beobachtet Ziegel-/Keramik-Bröckchen im Mörtel (was römisch wäre), Baudenkmalpfleger Kircher dagegen befindet, weder Mauerart noch Mörtel sei irgendwie charakteristisch und datierbar. Wagner hält Gebäude II (wie auch I und III) für spätrömisch.

Hatte wirklich jeder römische Schopf / jede Scheune ein Ziegeldach? Nein! Es gab auch Dächer aus Holzschindeln und anderen traditionell-einheimischen (kompostierbaren) Materialien. Und selbst wenn mit Dachziegeln gedeckt: wo fallen die beim Haus-Zerfall hin? In das Hausinnere, wenn das Dachgebälk langsam durchrottet. Aber wie sieht es z.B. bei Erdbeben aus? Inzwischen gibt es eine ganze Reihe römischer Gebäude, fundleer, aufgegeben, die Wände zum Teil sauber nach außen geklappt. Erdbeben ließen auch in unserer Region Steingebäude umfallen. Und wie steht es mit Recyling, dem Wieder-Nutzen brauchbarer Ziegel? Keine neue Idee: hat man in römischer Zeit gerne gemacht, und danach natürlich auch. Auch die fehlenden Steine der drei Gebäude vom Bergrain müssen irgendwo geblieben sein.


Keine frühmittelalterlichen Funde in Gebäude II, keine karolingerzeitlichen, keine mittelalterlichen. Nicht innen, nicht direkt drumherum. Bei einem Hof, der mindestens vom 9. bis mindestens in das 15. Jahrhundert bewohnt und bewirtschaftet war, der den Reichstag 887 samt Menschenmassen koordiniert hat und mehrere Herrscher-Aufenthalte gestemmt. Öffentlicher Raum, genutzt vom Kloster St. Gallen für Rechtsgeschäfte. Kein zerbrochenes Geschirr, keine verlorene Perle, keine geborstene Ofenkachel. 
Archäologisch spricht nichts dafür, in Gebäude II den Königshof zu sehen. 
Trotzdem wird Gebäude II immer wieder als Rest des Königshofes genannt. Zu selten haben Archäologen und Historiker die ´Beweise´ dafür überprüft. Die ´Beweise´ sind Wunschdenken des Pfarrers Julius Schmidt und dessen Behauptung: man hätte in der Karolingerzeit einfach auf den römischen Mauern wieder aufgebaut, und bis er, Pfarrer Schmidt, etwas besseres findet, ist dies für ihn der Königshof. Punktum.


Nein, Gebäude II war ziemlich sicher NICHT der karolingische Königshof. Sondern römisch, wohl ein Wirtschaftsgebäude zum abgebrannten (Wohn)-Haus I und vermutlich nach der Zerstörung von Haus I aufgegeben. Vermutlich gehörte auch der Schachtbrunnen neben Gebäude I zu dieser Anlage; leider konnte er 1941 nicht ganz ausgehoben werden und ist undatiert.

Ohne wissenschaftliche Aufarbeitung der Funde läßt sich nicht sagen, ob die Gebäude I und III zeitgleich in Benutzung waren, ober ob man III vielleicht erst nach der Zerstörung von I (und II) gebaut hat.


Zum Schluß noch einmal unser Pfarrer (1909): "Bei Annahme der Zerstörung der Gebäude durch die Alemannen dürfte eben Gebäude I im ersten erbitterten Hauptsturm verbrannt und zerstört, das andere dahintergelegene Gebäude II aber darauf durch Niederreißen dem Erdboden gleichgemach worden sein." 
Die Vorstellung, heranstürmende alemannische Heere hätten römische Kastelle belagert/erobert/zerstört, ist schon lange widerlegt. Barbarische Plünderer-Horden: ja, die gab es. Ausreichend einfache Beute-Ziele wie abgelegene Gutshöfe, die gab es auch. Trotzdem, Gebäude I wird wohl eher einem normalen Schadensfeuer zum Opfer gefallen sein. Die frühmittelalterlichen Pfeilspitzen jedenfalls haben weder mit den Plünderern noch mit alemannischen Neusiedlern des 4./5. Jahrhunderts etwas zu tun. Vielleicht beim Herumstochern verloren: römische Ruinen verlockten immer wieder Leute, dort nach Nützlichem zu suchen. Krumme Nägel, zum Beispiel, oder noch brauchbare Fußbodenplatten. Oder alte Obstbäume. Oder verwildertes Gemüse.
 

(Text: Museum in der ‘Alten Schule’ / Dr. Maren Siegmann / 2025)